Stinkteure Arzneimittel: Sind Tierärzte Wucherer?

Von Ralph Rückert, Tierarzt

2011 brachte Bayer Animal Health das Floh- und Zeckenhalsband „Seresto“ auf den deutschen Markt, nach den bisherigen Erfahrungen ein ausgereiftes und gutes Produkt, das sowohl insektizid/akarizid als auch repellierend wirkt. Wir haben es schon häufig verkauft, müssen aber zugeben: Wer es bei uns kauft, anstatt es im Internet zu bestellen, der zahlt gewaltig drauf. Warum? Sind wir geldgierige Wucherer?

Die tiermedizinische Fachzeitschrift VetImpulse hat es ausprobiert: Die Bestellung von „Seresto“ bei einer britischen Online-Apotheke (sogar mit deutschsprachigen Service) klappte problemlos, vier Tage nach der Bestellung traf der Artikel in der Redaktion ein. Der Preis (inkl. Luftpostversand): 23,92 Euro. Und was würden Sie in unserer Praxis zahlen? Halten Sie sich fest: Wenn der Preis nach der deutschen Arzneimittelpreisverordnung festgelegt würde, käme das Halsband auf sage und schreibe 47,75 Euro. Ausgegangen sind wir dabei von einem Einkaufspreis (im Sonderangebot!) von 29,35 Euro. Merken Sie was? Genau, unser Einkaufspreis ist 5,43 Euro höher als der Verkaufspreis (inkl. Luftpostversand) der britischen Online-Apotheke.

Wie kann das sein? Nun, was Arzneimittel angeht, werden wir in Deutschland von den Pharma-Konzernen buchstäblich ausgeplündert, egal ob im Human- oder Veterinärbereich. Die Produkte werden in anderen Ländern so viel billiger auf den Markt gebracht, dass ein Verkaufspreis weit unterhalb unseres Einkaufspreises für den Online-Versender immer noch profitabel ist. Wenn wir in Bezug auf „Seresto“ mit der Online-Apotheke mithalten wollten, müssten wir erst mal für 1000 Euro Warenbestand kaufen (also auch vorfinanzieren) und dann ohne jeden Profit an Sie weitergeben, was natürlich aus betriebswirtschaftlicher Sicht völliger Unsinn wäre.

VetImpulse nennt ein zweites Beispiel: Die Firma Hill’s hat 2012 ein neues medizinisches Diät- Futtermittel zur unterstützenden Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion der Katze in Deutschland eingeführt, für das inzwischen eine gewisse Wirksamkeit als bewiesen gilt: Hill’s y/d. Die Firma bot uns sogenannte Starterpakete zum „Einführungspreis“ von 33,69 Euro netto an. Der von Hill’s empfohlene Verkaufspreis lag bei 55,20 Euro. Und was kostete es im Online-Handel, wieder in Großbritannien? Sagenhafte 34,90 Euro frei Haus.

Das selbe gilt natürlich für viele apothekenpflichtige Präparate und sogar für rezeptpflichtige Arzneimittel. Ja, Sie lesen richtig: Mit einem Rezept von mir können Sie teure Dauermedikamente ebenfalls ganz legal bei Versandapotheken in bestimmten EU-Ländern bestellen. Da müssen Sie allerdings bei der Preiskalkulation meine Rezeptgebühr mit einfließen lassen. Rechnet sich meistens trotzdem, wenn man die damit verbundene Mühe nicht scheut. Was ich so im Internet gelesen habe, sind zum Beispiel Schilddrüsenhormon-Präparate in der Großpackung frei Haus aus England etwa 30 Prozent billiger als hier zu haben.

Das ist nicht lustig! Damit, dass Sie als Kunde diese Dinge nicht bei uns, sondern im Internet kaufen, könnten wir gut leben. Nicht leben können wir aber mit dem entstehenden Image-Schaden! Wir sehen unsere Haupttätigkeit in der Behandlung Ihrer Tiere, nicht im Medikamenten- und Futterverkauf. Und wir haben wirklich was anderes zu tun, als den ganzen Tag zu recherchieren, was bei welcher Online-Apotheke wieviel billiger ist als bei uns. Klar gesagt: Wir haben in der Regel keine Ahnung, wie extrem billig man zum Beispiel ein Seresto-Halsband oder eine Packung Advantix im Internet kaufen kann. Wenn wir den Artikel also mit der ganz normalen Handelsspanne an Sie verkaufen, denken wir wirklich nichts Böses dabei. Tage später kommen Sie dann als Kunde eventuell wutentbrannt zurück und halten uns vor, dass wir Wucherer wären. Eventuell werfen Sie uns das noch nicht mal vor, sondern kommen einfach nie wieder zu uns, ohne uns überhaupt Gelegenheit zu geben, die näheren Umstände zu erläutern. Und wir können, wie Sie oben gelesen haben, wirklich nichts dafür. Das ist der Punkt, der uns an dieser Sache so gewaltig stinkt.

Wir haben uns bereits angewöhnt, Sie bei bestimmten Artikeln darauf hinzuweisen, dass es diese im Online-Handel deutlich billiger gibt, sprich: Wir schicken Sie zur Konkurrenz, damit Sie uns ja nicht für geldgierige Raubritter halten. Wie findet man das? Stellen Sie sich mal vor, Sie wollen Schuhe im Laden kaufen und der Verkäufer weist Sie darauf hin, dass sie dieses Modell bei Zalando viel billiger bekommen können. Schon ein wenig absurd, nicht wahr?

Bei entsprechendem Preisbewusstsein müssen Sie sich also informieren, wo Sie die für Ihr Tier benötigten Dauermedikamente bzw. Diätfuttermittel billiger als bei uns bekommen. Wir können diese Arbeit nicht für Sie leisten, und wir können auch nichts dafür, dass die Sachen hierzulande so unverschämt teuer sind. Und wir können und werden uns auch auf keine Preiskämpfe mit internationalen Versandapotheken einlassen, weil wir gegen die niemals gewinnen können. Wer bei uns kauft, bezahlt deutlich mehr als im Online-Handel, ohne dass wir daran das Geringste ändern könnten. Tut uns leid, aber so ist es nun mal. Sie über diese Zusammenhänge offen und ehrlich zu informieren, ist das Einzige, was wir tun können.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm

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