Von Ralph Rückert, Tierarzt
Was ist die häufigste Erkrankung der Welt bei Mensch, Hund und Katze? Parodontitis! Vier von fünf Hunden und Katzen entwickeln innerhalb ihrer Lebenszeit parodontale Erkrankungen, die häufig höchst aggressiv den Zahnhalteapparat zerstören und sowohl chronische Schmerzen verursachen als auch innere Organe in Mitleidenschaft ziehen. Wie wir Menschen aus eigener und teilweise schmerzhafter Erfahrung wissen, muss man diesbezüglich ständig am Ball bleiben. Dies um so mehr, als sowohl unsere als auch die Lebensspanne unserer Tiere heutzutage viel länger ist als noch vor einigen Jahrzehnten, die Zähne also auch entsprechend länger halten müssen.
Als Faustregel kann man natürlich festhalten, dass parodontale Erkrankungen mit steigendem Alter immer häufiger auftreten. Die schlimmsten Sachen (Foto) sehen wir logischerweise bei den ältesten Tieren, und diese Senioren haben leider oft mehr als eine Baustelle, sind also das, was wir im Medizinerjargon als multimorbide bezeichnen. Da eine schwere und schon lange bestehende Parodontitis in erster Linie Herz und Nieren schädigt, hat man in vielen Fällen ein Tier mit grauenhaftem Zahnzustand, einem erworbenen Herzproblem und/oder einer chronischen Niereninsuffizienz vor sich.
Ich sag ja allgemein nicht gerne etwas Negatives über meinen Berufsstand, aber bei diesem Thema kann ich es leider nicht vermeiden, denn an diesem Punkt kommen die feigen Kolleginnen und Kollegen aus der Überschrift ins Spiel. In der Vorgeschichte solcher multimorbider Zahnpatienten fortgeschrittenen Alters tauchen sehr oft Tiermediziner(innen) auf, die es abgelehnt haben, das Tier unter den gegebenen Umständen der notwendigen Mundhöhlensanierung in Vollnarkose zu unterziehen, frei nach dem Motto „In dem Alter macht man da nix mehr dran!“.
Diese Kolleginnen und Kollegen sehen das betreffende Tier als „Gomer“. „Gomer“ ist ein Ausdruck, den der berühmte Autor des „Medicus“, Noah Gordon, in seinem Buch „The Death Committee“ geprägt hat, und die Abkürzung für „Get out of my emergency room“. Raus aus meinem Behandlungszimmer, stirb gefälligst woanders! Man hat also Angst, dass einem der Patient anlässlich der Zahnsanierung verstirbt. Das ist in meinen Augen ziemlich feige, denn wir haben eigentlich alle gelernt, Narkosen nicht nur bei jungen und gesunden Patienten ausreichend sicher zu gestalten. Aber gut, mit dieser Form von Feigheit hätte ich eigentlich noch kein echtes Problem, wenn man dann auch Manns genug wäre, diese gegenüber dem Patientenbesitzer zuzugeben und das Tier einfach an jemand weiter zu überweisen, der sich das zutraut. Mit dieser Vorgehensweise wäre allen Beteiligten gedient.
Einem Patienten mit verheerendem Zahnzustand und mit den damit einhergehenden Schmerzen aber aus persönlicher Feigheit die korrekte Behandlung zu verweigern, und das mit der Formulierung zu verknüpfen, dass „man da nix mehr dran macht“, also letztendlich vorzutäuschen, dass sich diesbezüglich alle Tierärzte mehr oder weniger einig wären, ist fachlich und ethisch inakzeptabel. Vertraut der Besitzer seinem Tierarzt, wird das Tier damit zu ausweglosem und schwerem Leiden verdammt! Alt werden ist schon unangenehm genug, aber alt werden mit ständigen starken Zahnschmerzen ist regelrecht unzumutbar.
Es wird jedem denkenden Menschen einleuchten, dass ein älterer Patient mit eventuell mehrfachen Einschränkungen von Organfunktionen ein erhöhtes Narkoserisiko hat. Benötigt man aber eine Narkose, um einen mit großem Leidensdruck einhergehenden Zustand zu beheben, ist dies ohne Belang und einfach hinzunehmen. Eine adipöse, zuckerkranke 84jährige, die die Treppe runtergefallen ist und sich das Bein gebrochen hat, ist sicher keine Traumpatientin für die Anästhesisten, ganz im Gegenteil. Niemand wird aber auf die Idee kommen, den Angehörigen mitzuteilen, „dass man da unter diesen Umständen nix mehr dran macht“. Die Vorstellung ist lächerlich, genau so lächerlich, wie bei einem Hund oder einer Katze mit kaputten, vereiterten und schmerzenden Zähnen. Da muss einfach gelten: Wat mutt dat mutt!
Wenn Sie je so eine Aussage hören, dann sind Sie als Besitzer(in) gefordert, dann brauchen Sie die berühmte Zweitmeinung, und zwar von einer Kollegin oder einem Kollegen, die/der dafür bekannt ist, das Fachgebiet der Anästhesie gut zu beherrschen. Es ist eigentlich ganz simpel: Versetzen Sie sich in Ihr Tier hinein. Ein Zustand, den Sie für sich selbst nicht mal für fünf Minuten akzeptieren würden, kann nicht mit „da macht man nix mehr dran“ einfach vom Tisch gefegt werden.
Des öfteren habe ich aber auch den Eindruck, dass diese tierärztliche „Falschmeldung“ von manchen Tierhalten nur allzu gerne geschluckt wird. Zum einen hat man verständlicherweise als Laie auch Angst vor dem potenziellen Narkoserisiko (das aber in der Regel durch die Feiglinge unter den Kolleginnen und Kollegen grotesk überzogen dargestellt wird), zum anderen wird man – einhergehend mit einer angenehmen Gewissensberuhigung – vor einem nicht unwesentlichen finanziellen Aderlass bewahrt. Die Erhaltung der Zahngesundheit ist teuer, und zwar immer wieder und in regelmäßigen Abständen teuer. Viele frischgebackene Besitzer einer der chronisch zahnempfindlichen Zwergrassen wie Yorkie oder Chihuahua (oder auch einer beliebigen Katze) machen sich anfangs keine Vorstellung davon, dass im Laufe des Lebens ihres Tieres die Gesunderhaltung der Zähne das finanziell aufwendigste Thema überhaupt werden kann.
Es ist bei Mensch und Tier immer das Gleiche: Die Saat wird früh gelegt. Solange noch alles okay ist, die Zähne weiß, der Atem frisch, werden die guten Ratschläge der Zahn- und Tierärzte locker-flockig in den Wind geschlagen, damit man sich später – wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist und irreparable Schäden aufgetreten sind – besser über diese dreisten Raubritter von Ärzten aufregen kann, die da unverschämte Summen für die Wiederherstellung einer halbwegs gesunden und schmerzfreien Mundhöhle aufrufen. Ich muss zugeben, dass es mir machmal schwerfällt, nicht in eine gewisse Verbitterung zu verfallen, wenn ich die dümmlichen Einlassungen so mancher Trolle zu diesem Thema im Netz lesen muss. Wie blöd sind wir bösartigen Abzocker eigentlich, dass wir schon beim jungen und noch perfekt zahngesunden Tier immer wieder darauf hinweisen, was man alles zur Erhaltung des Gebisses tun kann? Damit schießen wir uns doch eigentlich so richtig ins eigene Knie, oder?
Nun, die Erfahrung lehrt uns, dass die Zahngesundheit letztendlich so richtig schön verschlampert wird, bei sich selbst und beim Haustier gleichermaßen. Dann wird’s halt teuer, deutlich teurer, als wenn man von Anfang an am Ball geblieben wäre, und dann wird eben von so manchen mal wieder fieberhaft nach dem billigsten Angebot gesucht. Dadurch werden zwei weitere Akteure auf den Plan gerufen: Zum einen die Aldi-Tierarztpraxen, die alles immer noch ein bisschen billiger (und meist schlechter) als alle Nachbarpraxen anbieten müssen, weil sie außer Discount-Preisen einfach nichts zu bieten haben, was für sie spricht. Darüber will ich gar nicht viele Worte verlieren. Wer auch immer solchen Billig-Angeboten nachrennt, bekommt, was er verdient, und das ausgerechnet bei einer Prozedur, deren Preis zu mehr als 50 Prozent von der angewendeten Narkose bestimmt wird, die logischerweise einen direkten Einfluss auf die Sicherheit des Tieres während der Zahnsanierung hat. Den Besitzer, der es für klug hält, das Leben seines Tieres dem billigsten Anbieter in die Hände zu legen, verstehe ich beim besten Willen einfach nicht.
Zum anderen verfallen in letzter Zeit immer mehr Hundesalons auf den Gedanken, auf diesem Markt mitzuspielen, indem sie eine (Ultraschall-)Zahnreinigung ohne Narkose anbieten. Das soll dann natürlich erstens billiger und zweitens für den Hund ungefährlicher sein als die professionelle Zahnreinigung mit Parodontalbehandlung in der Tierarztpraxis.
Dazu ein Zitat mit einer glasklaren Aussage: „Die Entfernung von Zahnstein lediglich an der Zahnkrone, wie sie in Hundesalons angeboten wird, ist reine Kosmetik und keine medizinische Behandlung. Sie führt in grob fahrlässiger Weise zur Erhaltung und Förderung eines chronischen Entzündungsherdes und kaschiert eine zugrunde liegende Problematik. Sie führt damit zum Schaden des Tieres und zur fortschreitenden parodontalen Erkrankung mit Zerstörung von Zahnhaltefasern, Kieferknochen und Zähnen. Außerdem erzeugt eine Bearbeitung von Zahnoberflächen mit dem Ultraschallgerät mikroskopische Kratzer auf der Schmelzoberfläche, die eine nachfolgende sorgfältige Politur, auch unterhalb des Zahnfleischsaumes im subgingivalen Bereich, zwingend erfordern. Diese kann fachlich korrekt nur am entspannt gelagerten Kopf des Tieres erfolgen. Folglich ist eine Neuroleptanalgesie (Vollnarkose) erforderlich. Eine Anwendung des Ultraschallzahnsteinentfernungsgerätes ohne nachfolgende Politur ist ein Kunstfehler und schädigt das Gebiss. Die nicht sachgerechte laienhafte Zahnsteinentfernung begünstigt vielmehr die erneute Anheftung von Zahnstein an der rauen Oberfläche der fehlbehandelten Zähne.“
Das Zitat stammt aus der Stellungnahme zu dieser Thematik, die die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Tierzahnheilkunde und der Fachgruppe Kleintierkrankheiten im Bundesverband praktizierender Tierärzte verfasst hat. Bitte sehen Sie die Stellungnahme als integralen Bestandteil meines Blog-Artikels.
Fazit: Lassen Sie sich nicht auf den Arm nehmen oder ins Bockshorn jagen. Ungeachtet des Alters und irgendwelcher Vorerkrankungen muss eine erkrankte Mundhöhle grundsätzlich und dringend behandelt werden. Permanente Entzündungsherde und chronische Schmerzen schränken die Gesundheit und Lebensqualität Ihres Tieres in unzumutbarer Weise ein, so dass es durchaus berechtigt ist, ein gewisses Narkoserisiko zu akzeptieren, zumal wir hier nicht von Russisch Roulette reden. Um mal eine Größenordnung zu vermitteln: Wenn wir als gute und erfahrene Anästhesisten sagen, dass ein älteres Tier mit Vorerkrankungen im Vergleich zu einem gesunden Jungtier ein um den Faktor Zehn erhöhtes Narkoserisiko hat, so bedeutet das über den Daumen geschätzt, dass es in gerade mal einem von 500 Fällen zu einem tödlichen Narkosezwischenfall kommt. Damit kann man durchaus arbeiten!
Suchen Sie – gerade was Narkosen und Zahnbehandlungen angeht – möglichst nicht nach dem billigsten Anbieter. Die in Discounter-Praxen in der Regel zur Anwendung kommenden und absolut antiquierten Narkoseverfahren sind wesentlich gefährlicher für Ihr Tier als hohes Alter und diverse Vorerkrankungen. Geiz ist in diesem Fall absolut nicht geil, sondern lebensgefährlich, weniger für Sie als für Ihr Tier.
Die in manchen Hundesalons angebotenen Zahnbehandlungen ohne Narkose – ob durch Rumgekratze mit Handinstrumenten oder durch die Anwendung von Ultraschall-Geräten – sind schlicht indiskutabel, inakzeptabel und in vielen Fällen sogar tierschutzrelevant. Lassen Sie sich nicht auf so etwas ein, denn Sie würden Geld ausgeben für eine Sache, die die Situation für Ihr Tier keineswegs besser, sondern schlechter macht, und dafür ist jeder Euro einer zu viel. Eine korrekte professionelle Zahnreinigung mit eventuell erforderlicher Parodontalbehandlung oder gar Zahnröntgen und Zahnextraktionen ist einfach nur in Narkose möglich.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen
Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook bzw. GooglePlus teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.