Dinge, auf die SIE achten sollten!

Von Ralph Rückert

Ich sag’s immer wieder: Die meisten Kolleginnen und Kollegen leisten angesichts der grundsätzlichen Probleme der Tiermedizin (nicht kommunikationsfähige Patienten, Besitzer mit himmelhohen Erwartungshaltungen, nach wie vor weit verbreitetes Generalistentum) wirklich gute Arbeit. Es gibt aber ein paar wenige fachliche Sünden, auf die ich immer wieder mit einem gewissen Unverständnis stoße und gegen die Sie sich und Ihr Tier aktiv schützen sollten. Das ist übrigens ein Artikel, der eventuell im Laufe der Zeit immer mal wieder aus der Versenkung geholt und um weitere Punkte ergänzt werden wird.

Gehen wir gleich in medias res:

– Analgesie (Schmerzbekämpfung)

Dieser Tage zitierte die Seite Wir-sind-Tierarzt eine britische Untersuchung, nach der bei der Kastration von Hengsten 37 Prozent der Patienten keine auch nur annähernd ausreichende Schmerzmedikation bekämen. Für den von mir überblickbaren Kleintierbereich würde ich das nach dem, was ich so zu hören bekomme, auch nicht viel besser einschätzen. Im Zusammenhang mit operativen Eingriffen gilt es zwischen zwei Arten der Analgesie zu unterscheiden. Die perioperative Schmerzbekämpfung hat dafür Sorge zu tragen, dass der narkotisierte Körper des Patienten möglichst keine Schmerzimpulse wahrnimmt bzw. verarbeiten muss, die postoperative Analgesie soll die für den Patienten zwangsläufig aus der OP entstehenden Folgeschmerzen für eine ausreichend lange Zeit unterdrücken und eine möglichst leidensfreie Erholung gewährleisten.

Für Sie als Besitzer ist eigentlich nur beurteilbar, ob Ihr Tier nach einem Eingriff Schmerzmittel bekommt oder bekommen hat. Was sich während der OP abspielt, entzieht sich ja meist Ihrer Kenntnis. Genau da ist aber in so und so viel Prozent der Fälle der Hund begraben. Es gibt heutzutage Narkosemittel, die den Patienten ganz prima bewusst- und bewegungslos machen, die aber keineswegs für Schmerzfreiheit sorgen. Ist ja egal, werden Sie sagen, er ist ja bewusstlos und bekommt es nicht mit. Das ist falsch! Der Körper an sich bekommt die Schmerzreize sehr wohl mit, auch wenn das Bewusstsein sozusagen abgeschaltet ist. Und er reagiert darauf, und zwar mit Stressmechanismen, und körperlicher Stress ist nun wirklich das Letzte, was man während eines operativen Eingriffes brauchen kann. Dazu kommt noch, dass während der OP verursachte und ungedämpfte Schmerzreize sehr schnell zur Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses und damit zu deutlich schlimmeren postoperativen Beschwerden führen können.

Nehmen wir mal ein Beispiel aus dem realen Leben, das dem einen oder anderen Leser sogar aus eigener Erfahrung bekannt sein dürfte. Der intravenös zu verabreichende Wirkstoff Propofol ist sowohl beim Menschen als auch bei Hund, Katze und Kaninchen sehr gut zur sicheren Narkoseeinleitung geeignet. Er führt zu einem schnellen, aber sanften Bewusstseinsverlust. Der Patient kann dann problemlos intubiert werden, was wiederum die Weiterführung der Narkose mit Isofluran (dem in der Tiermedizin häufigsten Narkosegas) ermöglicht. Nun hat man ein Tier vor sich liegen, das augenscheinlich fest schläft. Für die Durchführung eines nicht schmerzhaften Eingriffes (z.B. einer professionelle Zahnreinigung) ist das so auch völlig ausreichend. Aber weder Propofol noch Isofluran haben eine nennenswerte schmerzunterdrückende Wirkung, weshalb ein auf diese Weise narkotisierter Patient keinen Schmerzreizen ausgesetzt werden darf, wie sie durch einen chirurgischen Eingriff oder auch eine Zahnextraktion verursacht werden. Für solche Vorhaben muss entweder ein stark schmerzunterdrückender Wirkstoff hinzugefügt werden, meist Medikamente aus der Gruppe der Morphine, oder eine lokale Schmerzausschaltung (Lokal- bzw. Regionalanästhesie) angestrebt werden. Beide Verfahren können auch – wo immer möglich – ideal miteinander kombiniert werden.

Auch die aus meiner Sicht steinzeitlichen und nur intramuskulär verabreichten Rompun-Ketamin-Narkosen, die nach wie vor in Praxen zum Einsatz kommen, die zum Beispiel Katzen-Kastrationen möglichst billig anbieten möchten, haben aufgrund ihrer nicht gegebenen Steuerbarkeit eigentlich kein für die Routineanästhesie ausreichend sicheres schmerzunterdrückendes Potential. Jeder von uns „alten Hasen“ kann sich noch gut an die Katzen erinnern, die während der OP plötzlich angefangen haben zu stöhnen oder sich gar bewegten. Geht aus heutiger Sicht gar nicht mehr! Was ich damit sagen will: Scheuen Sie sich nicht zu fragen, was für eine Schmerzbekämpfung peri- und postoperativ für Ihr Tier vorgesehen ist. Ich hätte mit dieser Frage nicht das geringste Problem, zumal wir mit der für unsere Kunden seit Jahren gewohnten Herausgabe einer Kopie des Narkoseprotokolls in dieser Beziehung sowieso mit maximal offenen Karten spielen.

– Zu kurze Impfintervalle, also zu häufiges Impfen

Das Thema habe ich ja schon in einem vor ein paar Wochen veröffentlichten Artikel angesprochen. Trotzdem in Anbetracht der Tatsache, dass ich in jedem zweiten vorgelegten Impfpass auf nicht den Leitlinien entsprechende und zu kurz eingetragene Impfintervalle stoße, hier noch einmal der Hinweis: Spätestens nach erfolgreicher Grundimmunisierung mit der letzten Nachimpfung im ungefähren Alter von 15 Monaten können für alle Viruserkrankungen bei Verwendung entsprechender Impfstoffe mindestens Intervalle von drei Jahren eingetragen werden. Betonung auf Viruserkrankungen, denn das gilt nicht für die Leptospirose-Impfung, deren Wirkung nach wie vor ein Jahr nicht überschreitet.

Besonders wichtig ist das bezüglich der Tollwut-Impfung. Wenn Sie da nicht am Ball sind, kann es passieren, dass Ihnen nur eine Gültigkeit von ein oder zwei Jahren eingetragen wird. Dann müssen Sie aus rechtlicher Sicht nach dieser eigentlich zu kurzen Zeitspanne nachimpfen lassen, um die grenzüberschreitende Reisefähigkeit Ihres Tieres zu erhalten. Rein rechtlich kann bereits nach einer einmaligen Impfung mit einem entsprechenden Tollwut-Impfstoff im Alter von über drei Monaten eine Wirksamkeitsdauer von drei Jahren eingetragen werden. Ob man dann aus immunologischen Gründen und nach entsprechender Beratung noch zusätzliche Nachimpfungen einschiebt, bleibt einem ja trotzdem freigestellt.

Sie müssen da selber drauf achten, denn eine einmal erfolgte Eintragung der Gültigkeitsdauer der Tollwut-Impfung kann nur durch den Tierarzt geändert werden, der die Impfung auch durchgeführt hat. Ein Kollege hier im regionalen Umfeld hat leider aus mir völlig unerfindlichen Gründen die Angewohnheit, NIE die Gültigkeitsdauer der verabreichten Impfungen in das dafür vorgesehene Feld einzutragen. Mit so einem Impfpass sind Sie NICHT grenzüberschreitend reisefähig. Kontrollieren Sie die Einträge bitte direkt nach der Impfung, sonst haben Sie später die Springerei oder geraten sogar bei einer Kontrolle in echte Schwierigkeiten.

– Injektionsassoziierte Fibrosarkome im Nacken-/Schulterbereich von Katzen

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Substanzen, die bei Katzen unter die Haut (subkutan) gespritzt werden und die dort eine lokale Entzündung verursachen (Impfstoffe!), mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von etwa 1 zu 5000 und Jahre später einen sehr bösartigen Tumor des Bindegewebes, ein Fibrosarkom, verursachen können. Diese Erkenntnis war der Grund, den routinemäßigen Injektionsort bei Katzen aus dem an sich praktischen Nacken-/Schulterbereich weiter nach hinten an die seitliche Bauchwand, die Kniefalte oder sogar das Hinterbein zu verlegen, weil dort ein eventuell entstehendes Fibrosarkom mit viel höheren Erfolgsaussichten operativ entfernt werden kann.

Seit fast zwanzig Jahren setze ich bei Katzen keine Spritze mehr in den Nacken. Warum sehen wir aber trotzdem immer noch in schöner Regelmäßigkeit inoperable und somit ein Todesurteil darstellende Fibrosarkome in dieser Körperregion? Die Antwort liegt auf der Hand, denke ich.

Klare Ansage: Lassen Sie es nicht zu, dass bei Ihrer Katze unter das Nackenfell gespritzt wird, egal mit was! Natürlich sind Fibrosarkome sehr selten, aber es ist einfach ein völlig unnötiges Risiko.

– Behandlung (auch Impfung) ohne gründliche Untersuchung

Für mich der irritierendste unter den aufgezählten Punkten. Irgendwie lebt man als Einzelpraktiker trotz aller Vernetzung in seiner eigenen Welt und gibt sich vor allem mit Kolleginnen und Kollegen ab, die mehr oder weniger auf der gleichen Wellenlänge sind wie man selbst. Es fällt einem also ziemlich schwer zu beurteilen, was in anderen Praxen und Kliniken so abläuft.

Neulich kam mal wieder jemand (wegen einer spezifischen Fragestellung) über mehr als 400 Kilometer angefahren und sagte mir hinterher, dass sein Hund noch nie so genau untersucht worden wäre. Das klingt erst mal natürlich schmeichelhaft. Wenn ich aber so darüber nachdenke, ist es eigentlich eine erschreckende Aussage, denn ich habe bei dem betreffenden Hund nichts anderes gemacht als bei jedem anderen meiner Patienten auch, nämlich eine korrekte Untersuchung von der Nase bis zur Schwanzspitze (Allgemeine und Eingehende Untersuchung).

Wenn das wirklich was Besonderes sein soll, dann sind wohl tatsächlich wieder Sie als Besitzer gefordert. Seien Sie sich stets bewusst: Ohne gründliche Untersuchung keine zutreffende Diagnose, ohne zutreffende Diagnose keine zielgerichtete Therapie! Wird Ihr Tier also nicht gründlichst untersucht, können Sie im Prinzip auch gleich wieder gehen.

Und da kommen wir zurück zum Thema Impfen: Geimpft werden soll nur ein wirklich gesunder Patient. In der Humanmedizin kann man den Patienten fragen, ob es ihm rundum gut geht oder ob er sich irgendwie unwohl fühlt. In der Tiermedizin sind wir absolut darauf angewiesen, den Patienten auch vor einer Impfung genauestens unter die Lupe zu nehmen, und das selbst dann, wenn der Besitzer eigentlich keine Beschwerden wahrnimmt.

Das wichtigste beim Jahres-Check ist nicht die eventuell notwendige Nachimpfung, sondern die gründliche professionelle Untersuchung. Das sollten Sie vor allem dann im Kopf behalten, wenn Sie gern mal ein vermeintliches Schnäppchen bei sogenannten Sammel-Impfterminen auf Hundeplätzen oder anderswo mitnehmen, wo genau diese gründliche Untersuchung häufig nicht stattfindet bzw. aus Zeit- und Kostengründen nicht stattfinden kann.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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