Von Ralph Rückert, Tierarzt
Der Artikel wurde von mir im November 2015 veröffentlicht und hat sehr weite Verbreitung gefunden. Inzwischen haben sich einzelne Punkte geändert, so dass kleine Überarbeitungen notwendig geworden sind. Diese Anmerkungen habe ich der besseren Übersichtlichkeit halber fett gedruckt in den Originaltext eingefügt. Wer den Artikel schon kennt, kann sich also auf das Fettgedruckte konzentrieren.
Darf ich vorstellen: Giardia intestinalis, alias G. lamblia, alias G. duodenalis, ein einzelliger Darmparasit, der sowohl den Menschen als auch viele Tierarten befallen kann. Bei Jungtieren und ganz allgemein bei immungeschwächten oder anderweitig erkrankten Individuen können Giardien relativ heftige Durchfälle auslösen. Die Behandlung kann sich hartnäckig gestalten, zu Todesfällen kommt es aber eigentlich nur bei Menschen und Tieren, die bereits durch andere Faktoren extrem geschwächt worden sind oder die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
Treibt man sich regelmäßig in Diskussionsforen oder Facebook-Gruppen herum, kann man aber den Eindruck bekommen, dass die Giardien auf dem Weg dazu sind, die Weltherrschaft an sich zu reißen und zu diesem Zweck alle unsere Hunde und Katzen (und eventuell auch noch uns Menschen!) um die Ecke zu bringen. Die Aufregung nimmt nicht selten hysterische Züge an, über die man nur noch den Kopf schütteln kann.
Es ist paradox! Mahnt man als Tierarzt an, die nötigen Impfungen und die Parasitenprophylaxe nicht aus an den Haaren herbeigezogenen und oft reichlich paranoiden Ängsten zu vernachlässigen, wird man blitzschnell und reflexartig als geldgeiler Panikmacher beschimpft. Versucht man aber die völlig überzogene Giardien-Hysterie durch nüchterne Aufklärung ein wenig einzudämmen, wird einem ebenso schnell der geharnischte Vorwurf der Verharmlosung eines gigantischen und für Millionen von Haustieren lebensgefährlichen Problems um die Ohren gehauen.
Wer ist das eigentlich, der diese angeblich neue, in Wirklichkeit aber uralte Sau durchs Dorf treibt? Nun, und das ist für mich mal wieder schmerzhaft zuzugeben, die Tierärzteschaft ist auf jeden Fall daran beteiligt. Es ist ja durchaus positiv zu sehen, dass wir heute durch Schnelltests in der Lage sind, innerhalb von Minuten sehr zuverlässig herauszufinden, ob sich in einer Kotprobe Giardien-Material befindet, denn dadurch kann vielen Durchfallpatienten, bei denen man früher therapeutisch im Nebel stochern musste, schnell und zielgerichtet geholfen werden. Es wird aber ganz sicher viel zu viel getestet und demzufolge auch viel zu viel therapiert. Um die (oft genug zweifelhafte) Notwendigkeit von Test und Therapie zu verdeutlichen, greifen einige Kolleginnen und Kollegen zu – wie soll ich sagen – etwas drastischen Risikobeschreibungen, die durchaus dazu geeignet sein können, beim Tierhalter ein gewisses Maß an Angst aufkommen zu lassen.
Kommt nun dieser verschreckte Tierhalter vom Tierarztbesuch nach Hause, springt er – wie sollte es heutzutage anders sein – auf der Stelle in die virtuellen Schlangengruben der Internet-Foren und Facebook-Gruppen, und dann schlägt schlichte Angst unweigerlich in helle Panik um, denn dort werden Giardien mindestens als Garant für einen monatelangen Leidensweg, wenn nicht gar als potenziell tödliche Diagnose verkauft. Da kann man auch auf Leute treffen, die so und so viele Jahre Erfahrung in der Tierschutzarbeit für sich beanspruchen und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit im kernigen Jargon des erfahrenen Tierschutz-Frontschweins verkünden, dass sie schon jede Menge Hunde hätten an Giardien „verrecken“ sehen.
Hakt man an dieser Stelle als Tierarzt mit der Bemerkung ein, dass man selbst in über einem Vierteljahrhundert Praxistätigkeit noch nie einen Patienten an Giardien sterben gesehen hätte und eventuelle Todesfälle bei in schlechtem Allgemeinzustand befindlichen Tierschutz-Tieren wohl eher durch zusätzliche Faktoren erklärbar wären, kann man damit locker einen Miniatur-Shitstorm auslösen, bei dem einem angesichts der dabei zur Anwendung kommenden persönlichen Beleidigungen schnell mal die Spucke wegbleibt. Drama, Baby, Drama!!! Deeskalation und Realismus nicht erwünscht!
Mal ernsthaft: Kann man an Giardien sterben? Ja, klar! Man kann an allem sterben, an einer vereiterten Zahnwurzel genauso wie an einem Schnitt in den Finger oder einer örtlichen Betäubung auf dem Zahnarztstuhl. Es sind schon immer Menschen und Tiere an Sachen gestorben, die dem Immunsystem der meisten anderen keinen Tropfen Schweiß auf die Stirn treiben würden. Bei einem ruinierten Abwehrsystem – und das müssen wir bei vielen Tierschutz-Tieren aus extrem schlechten Verhältnissen mal pauschal unterstellen – kann letztendlich jeder noch so harmlose Infekt das Fass endgültig zum Überlaufen bringen.
Geschätzt erkranken pro Jahr mindestens 200 Millionen Menschen an Giardiasis. Zu den dadurch ausgelösten und vergleichsweise sehr wenigen Todesfällen kommt es regelmäßig nur dann, wenn sogar eine simple Infusion die örtlichen medizinischen Möglichkeiten übersteigt und weitere Faktoren wie Unterernährung und ähnliches hinzukommen. Dann kann es tatsächlich sein, dass ein Patient, ob Mensch oder Tier, „an Giardien verreckt“, obwohl diese Beschreibung dann wieder nicht wirklich zutreffend ist, weil neben den Giardien noch ganz andere Probleme an diesem Ausgang beteiligt sind.
Trotz all dem bleibt es eine Tatsache: Giardien sind Mistviecher! Sie sind definitiv schon viel länger auf der Welt als der Mensch und alle seine Haustiere und dementsprechend zäh und anpassungsfähig. Die Durchfälle, die sie bei ungenügend immunkompetenten Menschen und Tieren auslösen können, sind durchaus unerfreulich. Wenn man sich als Mensch in einem schlechten Moment (z.B. auf Reisen, Stichwort Reisediarrhoe oder Montezumas Rache) eine Giardiasis einfängt, kann es sein, dass der Toilettensitz für einige Tage zum besten Freund wird. Besonders hart kann es kleine Kinder und Jungtiere mit ihrem noch unausgereiften Immunsystem erwischen.
Aber auch hier gilt wieder: Eine symptomatische Erkrankung bekommen nur sehr wenige von denen, die sich mit Giardien infizieren. In den gemäßigten Zonen (also auch hierzulande) sind zu jedem Zeitpunkt etwa 10 Prozent der Erwachsenen und mindestens 25 Prozent der Kinder mit Giardien infiziert und scheiden diese auch aus. Wissen die wenigsten und kratzt auch keinen! In deutschen Kindergärten wurden schon Infektionsraten von bis zu 60 Prozent gefunden. Ebenso sind 15 bis 20 Prozent aller Hunde, die da draußen rumlaufen (und damit natürlich auch ihre Kothaufen) mit Giardien infiziert. Schaut man sich nur Jungtiere an, kommen manche Untersuchungen auf eine Infektionsrate von 100 Prozent.
Von irgendeinem Parasitologen habe ich mal den Spruch gehört, dass Giardien wahrscheinlich schon die Saurier geplagt haben. Giardien sind also absolut nicht „eine neue Seuche“ (eine besonders blöde Bezeichnung, die ich peinlicherweise auf einer tiermedizinischen Homepage gefunden habe), sondern waren mit Sicherheit bei Mensch und Tier immer schon weit verbreitet.
Giardien waren und sind also allgegenwärtig. Heute finden wir sie nur leichter als früher. Es macht dementsprechend keinen Sinn, wild in der Gegend rumzutesten und rumzutherapieren. Wer viel misst, misst viel Mist! Es macht auch keinen Sinn, sich ständig vor Giardien zu fürchten, denn man kann ihnen so oder so nicht ausweichen. Ich habe schon von Hundebesitzern gehört, die den Haltern von gerade aktuell positiv getesteten Hunden das Gassigehen oder jeden Hundekontakt untersagen wollen oder die ihren eigenen Hunden verbieten, am Kot anderer Hunde zu riechen. Auch das ist völlig sinnlos. Die Fortpflanzungsstadien (Zysten) des Parasiten bleiben in der Umwelt wochenlang infektiös. Ein Kothaufen ist dann mit dem bloßen Auge schon lange nicht mehr als solcher erkennbar. Der Hund kann ihn trotzdem noch riechen und tut das auch. Oder er läuft einfach durch und schleckt sich nach dem Spaziergang die Pfoten sauber, und schon ist es passiert. In einem Kothaufen können sich Millionen von Zysten befinden, für eine Infektion reichen angeblich bereits zehn davon. Über den weiteren Verlauf entscheidet dann das Immunsystem, und das ist meist ganz gut drauf, denn sonst wären wir alle schon lange mit einer kollektiven Riesen-Scheißerei aus dieser Welt abgetreten.
Genau bezüglich dieser Frage haben wir hier im Haushalt gerade einen durch die Umstände erzwungenen Feldversuch laufen. Unsere neue kleine Kätzin Maisie kommt aus einem Wurf, der bis zu den Ohrspitzen mit Giardien infiziert war, was sich auch in krachigen Durchfallepisoden während der Aufzuchtperiode äußerte. Eine wirklich effektive Bekämpfung der Parasiten ist erst jetzt möglich, da Maisie von ihren Geschwistern und ihrer ebenfalls infizierten Mutter getrennt ist. Momentan ist Maisie nach aktueller Testung immer noch ein hochgradiger Giardien-Ausscheider, wenn auch selbst inzwischen symptomlos und guter Dinge. Unser Terrier Nogger, der alte Feinschmecker, ist ein echter Liebhaber von Katzenkot und hat sich vom ersten Tag an fast täglich an Maisies Toilette bedient, blieb aber topfit mit trockenem festen Kot. Als wir jetzt gerade eine Drei-Tage-Kotprobe von ihm getestet haben, war ich ehrlich gesagt schon sehr gespannt. Ergebnis: Negativ! Das bedeutet, dass Nogger inzwischen mehr als drei Wochen lang annähernd täglich Giardien pur gefressen hat, ohne dass die Biester bei ihm hätten Fuß fassen können. Und ja, das ist eine Einzelfall-Schilderung, die keinen wissenschaftlichen, sondern allenfalls anekdotischen Wert hat, aber trotzdem: Ein gesunder Mensch, ein gesunder Hund haben von Giardien kaum je etwas zu befürchten.
Inzwischen ist klar geworden bzw. bei mir angekommen, dass es bei Giardia duodenalis verschiedene Genotypen (Assemblagen) gibt, die bevorzugt bestimmte Spezies befallen und sich offenbar schwer damit tun, Artengrenzen zu überschreiten. So findet man beim Menschen in erster Linie die Assemblagen A2 und B, bei der Katze A1 und F und beim Hund C und D. Ganz ohne Ausnahmen ist diese Regel zwar nicht, aber für das geschilderte Szenario kann man durchaus anmerken, dass sich Nogger gar nicht so leicht an Maisies giardienverseuchtem Kot anstecken konnte. Und eines ist eigentlich auch sicher: Die oft als Drohkulisse beschworene Ansteckungsgefahr für Kinder (bzw. Menschen ganz allgemein) durch einen infizierten Hund kann man in Zukunft ruhig stecken lassen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist unbestritten, dass es unglaublich hartnäckige und für Tier und Besitzer extrem belastende Giardien-Infektionen gibt, aber diese sind sehr selten. Deshalb mein dringender Ratschlag: Wenn Sie gerade für Ihr Tier eine Giardien-Diagnose bekommen haben, gehen Sie NICHT, auf gar keinen Fall, sofort ins Netz und schon gar nicht in die auf dieses Thema spezialisierten Foren- und Facebook-Gruppen. Wer treibt sich dort logischerweise rum? Diejenigen, bei denen (wie es meist der Fall ist) die Giardiasis mit einem oder zwei Behandlungsanläufen erledigt war? Wohl eher nicht. Sie werden dort frontal mit einer Art Kondensat der insgesamt gesehen wenigen komplizierten Krankheitsverläufe konfrontiert, wodurch Sie sofort ein völlig schiefes Bild bekommen und außerdem in Angst und Schrecken versetzt werden.
Ein Beispiel gefällig? Posting in einer Facebook-Gruppe: „Hallo ihr Lieben. Bin am Verzweifeln. Habe meinen 4 Monate alten Schatz seid 2 Wochen. Er kommt aus Rumänien. Waren vor 2 Tagen beim Arzt, da er Blut im Stuhl hat. Und was ist, Giardien….. Hatte mich vorher schon belesen und dachte, dass kann doch nicht wahr sein. Habe Panacur bekommen. Aber so viel Negatives gelesen, dass es nichts bringt. Dass es den Darm schädigt. Was mache ich denn jetzt???? Einfach diese 5×5×5 probieren? Und was ist wenn dieser Mist noch da ist???“ Tja, was soll man da sagen? Da hat die frischgebackene Hundebesitzerin gerade erst die Diagnose bekommen und ihr Tierarzt greift völlig korrekt erst mal zu Fenbendazol, dem aus rechtlicher Sicht Mittel der ersten Wahl (stimmt so nicht mehr, siehe weiter unten!), es besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass danach alles in Butter ist, und was macht sie? Vertraut sie ihrem Tierarzt? Nö, leider nicht, sie verlässt sich lieber auf die vermeintliche Schwarm-Intelligenz einer Facebook-Gruppe. Und natürlich bekommt sie genau das, was zu erwarten war: Neben einigen guten Ratschlägen (positive Überraschung!) im Sinne von „Jetzt zieh halt erst mal die Therapie so durch, dann sieht man weiter“ auch jede Menge Unsinn, selbstredend wieder mal inklusive des einen oder anderen Inkompetenzvorwurfs an den behandelnden Tierarzt, weil der – elender Pfuscher, der er von Berufs wegen ist! – sich bei der Erstbehandlung an die Vorgaben des Gesetzes hält und das einzige in Deutschland für diesen Zweck zugelassene Arzneimittel verwendet.
Damit wir uns auch hier wieder nicht falsch verstehen: Ich kann sehr wohl nachvollziehen, dass man als Besitzer eines Tieres mit kompliziertem Krankheitsverlauf das Bedürfnis hat, sich mit anderen ebenso vom Schicksal gebeutelten Menschen auszutauschen. In diesem Sinne haben solch thematisch spezialisierte Internet-Gruppen sehr wohl ihre Berechtigung, wenn auch mit der Einschränkung, dass man sich da meiner Meinung nach schon sehr vorsichtig bewegen muss, um nicht Ratschlägen zu folgen, die eher dazu geeignet sind, die Situation zu verschlechtern.
Nun, so weit, so gut. Kommen wir zu häufig gestellten Fragen.
-In welchen Fällen testen wir denn nun auf Giardien? In erster Linie natürlich dann, wenn der Patient Symptome zeigt, die zumindest für eine Beteiligung von Giardien am Krankheitsgeschehen sprechen, also bei heftigem, eventuell gar blutigem und länger anhaltendem oder längerfristig immer wieder auftretendem Durchfall. Von regelmäßigen Tests an augenscheinlich gesunden und symptomlosen Hunden halte ich persönlich gar nichts.
-Was machen wir bei einem Mehrhundehaushalt mit einem symptomatischen Hund? Da neige ich dazu, alle Hunde mal zu testen. Es könnte ja durchaus rauskommen, dass einer der symptomlosen Hunde das eigentliche „Mutterschiff“ ist und den aktuell erkrankten Hund immer wieder ansteckt. Übrigens: Mir fällt gerade auf, dass ich wieder nur von Hunden schreibe. Nur zur Klarstellung: Das gilt alles auch für Katzen oder gemischte Tierhaltungen.
-Die einzige Form der Mehrhundehaltung, die meiner Meinung gar nicht erst damit anfangen muss, alle Hunde durchzutesten, sind Tierheime. Ein Tierheim frei von Giardien zu bekommen, halte ich für ein absolut sinnloses Unterfangen. Eine möglichst gute Hygiene, Testung von an Durchfall erkrankten Tieren und deren Behandlung mit dem Ziel der Symptomfreiheit muss da die Devise sein, nicht aber die Elimination des Erregers. Man könnte (in Absprache mit den neuen Besitzern) über eine Anbehandlung von Tieren nachdenken, die herausgegeben werden sollen, was Vorteile in Bezug auf die Einschleppung der Giardien in das neue Lebensumfeld bringen würde.
-Wann und wen behandeln wir? Ich bin nicht allein mit der Auffassung, dass nur Hunde und Katzen, die Symptome (also Durchfall) zeigen, behandelt werden sollten. Einzige Ausnahme wäre der oben schon erwähnte Haushalt mit mehr als einem positiv getesteten Tier, wo ich auch einen symptomlosen Ausscheider mit aufs Korn nehmen würde.
Diesen Punkt möchte ich noch einmal mit allem Nachdruck bekräftigen. Sowohl das Testen als auch die Behandlung eines symptomlosen Tieres sind unsinnig!
-Was sollte das Ziel der Behandlung sein? In erster Linie Symptomfreiheit, in zweiter Linie eine Elimination des Erregers aus dem Körper des Patienten und aus seiner Umgebung. Aber da geraten wir dann schon in einen Bereich, in dem wir uns eventuell Illusionen machen. Es muss die Frage erlaubt sein, ob dieses Ziel überhaupt realistisch ist. Die für eine effektive Umgebungsdesinfektion nötigen Wirkstoffe (quartäre Ammoniumverbindungen) sind in Wohnbereichen eigentlich nicht wirklich flächendeckend anwendbar. Auch die gern und gebetsmühlenartig empfohlene Verwendung von Dampfreinigern, die Dampf mit einer Temperatur von über 60°C erzeugen sollen, wirft Fragen auf. Viele Wohntextilien, Holzfurniere und Parkettböden werden wohl auf so heißen Dampf ziemlich ungehalten reagieren. Was jetzt nicht heißen soll, dass Hygiene zu vernachlässigen wäre. Das Bearbeiten von Katzentoiletten mit kochendem Wasser, das möglichst sorgfältige Entfernen von Kot aus der Umwelt, im eigenen Garten eventuell sogar das Übergießen der betreffenden Stelle mit kochendem Wasser und das regelmäßige Baden der Patienten zur Entfernung von im Fell haftenden Zysten macht auf jeden Fall Sinn.
Ein in meinen Augen realistisches Ziel ist also die Reduktion der Giardien auf ein Maß, mit dem das Immunsystem des Patienten wieder zurecht kommt. Bei einem dann wieder symptomfreien Hund in der Hoffnung auf vollständige Elimination des Erregers immer und immer wieder zu behandeln, richtet meiner Meinung nach mehr Schaden an als die Giardien selbst. Hat der Patient allerdings trotz mehrfacher Behandlung weiterhin Symptome UND positive Testresultate, gibt es auch bei mir keinen Zweifel: Da muss stur und unter Ausnützung aller sich bietenden Möglichkeiten weiter behandelt werden, natürlich bei gleichzeitiger Überlegung – und das halte ich für ganz, ganz wichtig – was da sonst noch faul sein könnte oder eventuell am Immunsystem nicht stimmt und wie man dieses stimulieren könnte.
Daran, dass ich von mehrfach wiederholten Therapieversuchen schreibe, können Sie ersehen, dass das nicht immer aufs erste (oder zweite oder dritte) Mal klappt. Man schätzt (und meine Erfahrung bestätigt das auch), dass man mit jedem Anlauf eine Erfolgschance von 80 Prozent hat. Auch bei erfolgreicher Behandlung kommt es sehr häufig zu blitzschnellen Reinfektionen aus der Umwelt des Patienten. Deshalb sollte der den Behandlungserfolg kontrollierende Test am Tag 5 bis 7 nach Behandlungsabschluss durchgeführt werden. Ist dieser Test negativ und fangen die Probleme kurz darauf wieder an, hat nicht die Behandlung versagt, sondern es ist zu einer Reinfektion gekommen. Diese Frist wird sehr häufig nicht eingehalten, und das wird wohl die Ursache vieler Gerüchte über meines Wissens bisher nicht hieb- und stichfest bewiesene Resistenzen der Giardien gegenüber den zur Behandlung verwendeten Wirkstoffen sein. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass eine Giardiasis – wie die meisten Krankheiten – häufig einfach spontan ausheilt, was dann im Einzelfall gern zu enthusiastischen Erfolgsmeldungen mit wer weiß was für Therapien von Kräuterbuttermilch bis hin zum Gesundbeten führen kann.
Zumindest im Humanbereich sind wohl inzwischen Resistenzen gegen einzelne in der Giardien-Bekämpfung eingesetzte Wirkstoffe in vitro (im Reagenzglas) bewiesen, aber keine echte Korrelation mit dem Therapieerfolg in vivo (am Patienten). Die Frage bleibt also strittig.
-Womit behandeln wir? Es ist in Deutschland nur ein einziger Wirkstoff für die Behandlung der Giardiose bei Hund und Katze zugelassen, nämlich das unter dem Markennamen Panacur bekannte Fenbendazol. Aus rechtlichen Gründen (EU-Kaskadenregelung) muss also Fenbendazol das Mittel der ersten Wahl sein. Erst bei einem oder mehreren Therapieversagern kann der sogenannte Therapienotstand erklärt und zu anderen Wirkstoffen gegriffen werden, die aber nicht für Hund und Katze zugelassen sind. Dabei handelt es sich um die zwei Nitroimidazole Metronidazol (inzwischen als Metrobactin für Hunde und Katzen zugelassen, siehe unten!) und Carnidazol (Markenname Spartrix), letzteres für die Behandlung von Tauben gegen Trichomonaden zugelassen. Nicht ganz unerwähnt bleiben soll ein ebenfalls für Tauben gedachtes Produkt einer holländischen Firma, T+K+K-Tabletten, das ein weiteres Nitroimidazol, nämlich Ronidazol enthält. Die Nitroimidazole sollten sich eigentlich in Bezug auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen gegenseitig nicht viel schenken, obwohl man das ohne Zulassungsverfahren, das für alle drei Wirkstoffe fehlt, nie so genau wissen kann. Die viel weniger Wirkstoff als die für Menschen gedachten Metronidazol-Formulierungen enthaltenden Spartrix-Tabletten sind aber bei sehr kleinen Tieren besser zu dosieren. Darüber hinaus ist Spartrix (und T+K+K) in den Foren und Facebook-Gruppen sehr populär, weil es nicht rezept-, sondern nur apothekenpflichtig ist. Es kann also aus Online-Apotheken im europäischen Ausland sehr preisgünstig bestellt werden, da so gut wie jeder Pharma-Markt billiger ist als Deutschland. Bei schweren Tieren kann einem allerdings bei der Zahl der Spartrix-Tabletten, die man eingeben muss, schnell mal schwindlig werden. Für große Hunde ist Metronidazol also aus praktischen (und inzwischen rechtlichen) Gründen die deutlich bessere Wahl.
Inzwischen wurde mit dem Präparat Metrobactin (Tabletten) der Wirkstoff Metronidazol für die Behandlung eines Giardienbefalls sowohl beim Hund als auch bei der Katze neu zugelassen. Als Tierarzt habe ich jetzt also im Rahmen der gesetzlichen Regelungen die Wahl zwischen Fenbendazol und Metronidazol (oder auch einer Kombinationstherapie mit beiden Wirkstoffen). Durch die zugefügten Aromen soll das Metrobactin eine bessere Akzeptanz bei Katzen aufweisen, und zwar auch dann, wenn man die Tabletten zur korrekten Dosierung teilen muss, was bei Metronidazol-Präparaten aus dem Humanbereich aufgrund des extrem bitteren Geschmacks immer ein Problem war.
-Jetzt müsste eigentlich die Frage kommen: Wie behandeln wir? Und dann die Dosierungen und Eingabeprotokolle. Das ist jetzt blöd, denn da muss ich Sie leider enttäuschen und Sie bitten, sich diesbezüglich vertrauensvoll an Ihre Tierärztin, Ihren Tierarzt oder (kleiner Scherz!) Ihre Facebook-Gruppe zu wenden. Warum das denn jetzt, fragen Sie? Ganz einfach: Wenn Sie fünf Lehrbücher aufschlagen und zwanzig Artikel zu dem Thema lesen, haben Sie am Ende 25 unterschiedliche Dosierungen und Eingabeprotokolle. Es herrscht diesbezüglich keine wirkliche Einigkeit. Also hat jede Kollegin und jeder Kollege seine persönliche Vorgehensweise, in die ich mich nicht einmischen möchte. Grundsätzlich sind Fenbendazol und Metronidazol so anzuwenden, wie es die Packungsbeilage vorschreibt. Alles andere ist ein sogenannter Off-Label-Gebrauch, für dessen eventuelle Folgen der Tierarzt gerade zu stehen hat. Schon gar nicht werde ich bezüglich des rezeptfrei erhältlichen Spartrix (oder T+K+K) eine Eingabeempfehlung aussprechen. Es muss Ihnen klar sein, dass die Anwendung der Nitroimidazole (außer in Form von Metrobactin) eine Umwidmung darstellt, also rein auf Erfahrungen beruht, nicht auf einem korrekten Zulassungsverfahren. Für eventuelle Probleme, die aus einer Umwidmung entstehen, haftet der umwidmende Tierarzt. Wenn Sie eine Behandlung mit Spartrix auf der Basis von Ratschlägen aus dem Internet durchführen wollen, dann tun Sie das ruhig, aber bitte auf eigene Verantwortung. Machen Sie es dagegen als mein Patient, liegt die Verantwortung bei mir.
-Noch zu erwähnen wäre, dass es mit GiardiaVax einen Impfstoff gegen Giardien-Infektionen gibt, der aber nicht in Deutschland zugelassen ist und dessen Einfuhr über eine internationale Apotheke ohne eine Sondergenehmigung nicht erlaubt ist. Dazu kommt, dass bezüglich der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen des Impfstoffes noch so einige Zweifel ausgeräumt werden müssen, und dass ich als Tierarzt, der sich wirklich sehr bemüht, nur so viel zu impfen wie unbedingt nötig, keine rechte Freude an Impfstoffen habe, die gegen eine nicht-tödliche Erkrankung gerichtet sind, mit der über 90 Prozent der potenziellen Impflinge sowieso nie ein Problem bekommen hätten.
-Während einer gegen Giardien gerichteten Behandlung wird zu einer extrem kohlenhydratreduzierten Ernährung geraten. Dabei könnte es sich aber auch gut und gern um einen Rat handeln, den jeder bei jedem abschreibt, ohne dass das je wissenschaftlich überprüft worden wäre. Die normale Darmflora kann nämlich nach meinem Dafürhalten ein paar Kohlenhydrate auch gut als Energielieferanten brauchen, wenn sie sich erfolgreich gegen die Parasiten wehren soll. Auch ist ein an schwerem Durchfall leidender Patient in der Regel auf die leicht zugängliche Energie aus Kohlenhydraten dringend angewiesen. Speziell beim ersten oder zweiten Therapie-Durchgang halte ich insgesamt nicht das Geringste von irgendwelchen drastischen Futterwechseln. Der Ratschlag, einen zuvor an Fertigfuttermittel gewöhnten Hund mit symptomatischer Giardiose (also heftigem Durchfall) auf der Stelle auf kohlenhydratfreie Rohfütterung umzustellen, ist in meinen Augen geradezu dramatischer Unfug und kann nur buchstäblich in die Hose gehen.
Auch hier nochmal eine Bekräftigung: In meiner Erinnerung hat jeder Giardien-Patient von einer Durchfall-Diät mit Hill’s i/d als begleitender Maßnahme zur medikamentösen Therapie profitiert. Die i/d mag wahrscheinlich die älteste kommerzielle Magen-Darm-Diät der Welt sein, sie mag aus Dingen bestehen, die viele als „Müll“ ablehnen, und sie mag Kohlenhydrate ohne Ende beinhalten, aber – und das sage ich vor dem Hintergrund von dreißig Jahren Erfahrung – sie funktioniert! Im Gegensatz dazu höre ich – gerade bei der Fernberatung per Telefon oder Mail – auffallend häufig sehr lang andauernde Krankengeschichten speziell von Hunden, die die ganze Zeit blindwütig extrem kohlenhydratarm ernährt wurden.
Ein Fazit aus meiner persönlichen Sicht: Giardien sind seit sehr langer Zeit, vielleicht sogar seit Jahrmillionen, einer der Prüfsteine, die das Leben an Lebewesen anlegt, um ihre Lebensfähigkeit zu testen. Sehr viele Menschen und Tiere bestehen diesen Test mit fliegenden Fahnen, weil es gar nicht erst zu einer Ansteckung kommt. Andere – die für den Parasiten idealen Wirte – stecken sich zwar an, scheiden in der Folge auch Zysten aus, entwickeln aber keine oder nur kurz anhaltende Symptome mit nachfolgender Selbstheilung. Eine vergleichsweise kleine Gruppe von Menschen und Tieren hat größere Schwierigkeiten und benötigt ärztliche Hilfe, um mit der Infektion fertig zu werden. Und wenige, sehr wenige Unglückliche, nämlich genau die, die die „Prüfung“ in früheren Zeiten nicht überlebt hätten, machen aufgrund eines vorgeschädigten Immunsystems mit Giardien bittere und lang anhaltende Erfahrungen. Diese Menschen und Tiere haben mein vollstes Mitgefühl. Sie sind aber nicht der Maßstab, an dem sich alle anderen voller Angst orientieren sollten. Genau das aber passiert, wenn man sich in Internet-Gemeinschaften (des)informiert, die ein Sammelbecken für diese außergewöhnlichen Krankengeschichten darstellen. Ich für meinen Teil kann auf jeden Fall behaupten, dass ich in über 25 Jahren Praxistätigkeit noch nie mehr als drei Angriffe gebraucht habe, um eine Giardiose symptomfrei zu bekommen. So schlimm kann es also nicht sein!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook bzw. GooglePlus teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.