FORL - Die Geißel der Katze

FORL – Die Geißel der Katze

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Geißel der Katze! So nennt Kollege Markus Eickhoff, einer der bedeutendsten Zahnspezialisten in Deutschland, die FORL. Prof. Zetner von der Universität Wien hat die Krankheit sogar gern als „Sargnagel der Katze“ bezeichnet. Die vier Großbuchstaben müssen also die Abkürzung für eine ganz schön üble Sache sein.

Der regelmäßige Leser meiner Artikel wird sich jetzt vielleicht fragen, warum ich speziell auf diesem Thema immer wieder rumhacke. Die Antwort ist traurig: Wir bekommen immer noch viel zu viele Katzen mit weit fortgeschrittener FORL auf den Tisch, bei denen wir leider davon ausgehen müssen, dass sie über lange Zeiträume schrecklich leiden mussten. Hartnäckige und wiederholte Aufklärung tut also nach wie vor dringend not!

FORL steht für Feline Odontoclastic Resorptive Lesions (Feline odontoklastische Resorptivläsionen). Das hilft dem Laien jetzt auch nicht unbedingt weiter, also auf Deutsch: Durch bisher nicht wirklich geklärte Ursachen, die hier dementsprechend auch gar nicht weiter zu erläutern sind, werden körpereigene Zellen aktiviert, die zum Abbau von Zahnhartsubstanz in der Lage sind, die Odontoklasten (Zahnfresser). Diese Zellen haben ihren großen Auftritt während des Zahnwechsels, denn sie sind eigentlich dafür zuständig, die Wurzeln der Milchzähne abzubauen. Bei erwachsenen Katzen, die an FORL erkranken, tauchen sie aber plötzlich wieder aus der Versenkung auf und fangen damit an, blindwütig eigentlich gesunde Zähne anzufräsen.Fachlich unterscheiden wir mehrere Arten von FORL, die Klassen Eins, Zwei und eine Mischform, was aber weder für Sie noch Ihre Katze von Interesse ist, weil alle Arten von FORL gleich schmerzhaft sind und auch mehr oder weniger auf die selbe Art diagnostiziert und behandelt werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Krankheiten gibt es zu FORL eigentlich nur schlechte Nachrichten:

– Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung. Der Körper geht also im Sinne einer fehlgeleiteten Immunantwort mit körpereigenen Mitteln gegen einen Teil von sich selber los. Das ist deshalb schlecht, weil die Medizin ganz allgemein nicht weiß, was man dagegen ursächlich tun könnte. Vielleicht lachen wir in 20 Jahren genau darüber, aber im Moment ist es eben so. Und leider alles andere als lustig!

– FORL ist sehr (!) häufig. Insgesamt jede dritte, ab einem Alter von fünf Jahren sogar jede zweite Katze ist betroffen. Ich treffe deshalb eine vielleicht provokant wirkende Feststellung: Jeder Katzenbesitzer, der nicht spätestens (!) ab fünf Jahren mindestens (!) einmal jährlich einen in dieser Frage sachkundigen Tierarzt die Zähne der Katze kontrollieren lässt, verhält sich zum Nachteil seines Tieres reichlich fahrlässig und ignorant. Ebenso fahrlässig und ignorant verhält sich natürlich jede Kollegin und jeder Kollege, die/der nicht ein scharfes Auge auf dieses Problem hätte.

– Die Krankheit gilt als außerordentlich schmerzhaft, vielleicht sogar als das schmerzhafteste chronische Problem der Katze. Der Leidensdruck der betroffenen Patienten muss als extrem eingestuft werden. Folgeerkrankungen wie chronische Stress-Gastritis mit häufigem Erbrechen, chronische Darmentzündungen (Reizdarm) mit Durchfall, Hautprobleme wie die psychogene Leckalopezie und psychische Veränderungen wie Depression und gesteigerte Aggressivität sind oft auf diesen Leidensdruck zurückzuführen. Darüber hinaus kann der Besitzer in vielen Fällen beobachten, dass erkrankte Katzen ihr Fressverhalten ändern: Wechsel von Hart- auf Weichfutter oder umgekehrt, hastige Futteraufnahme nach dem Motto „Ohren anlegen und durch!“, Aufschreien, Knurren oder Fauchen während des Fressens, Fallenlassen von Futter, Zähneknirschen, Speicheln, Mundgeruch, Reiben an den Lefzen, und so weiter und so fort. Aber Vorsicht: Scheinbar ungestörte Futteraufnahme ist KEIN zwingender Beweis dafür, dass die Katze nicht unter Zahnschmerzen leidet! Wie hat Prof. Zetner (Uni Wien!) immer gesagt: „No, wann’s ned frisst, stirbt’s! Also frisst’s halt!“ („Nun, wenn sie (die Katze) nicht frisst, dann stirbt sie! Also frisst sie eben!“).

– Die Odontoklasten beginnen mit ihrem Zerstörungswerk im Wurzel- oder Zahnhalsbereich, also zumindest anfangs unterhalb des Zahnfleischrandes und deshalb für das Auge unsichtbar. Man stößt immer wieder auf Katzen, deren Gebiss auf den ersten Blick wirklich ganz ordentlich aussieht, bei denen man dann aber beim Betrachten der Röntgenbilder buchstäblich vom Glauben abfällt, weil sich unter der Zahnfleischoberfläche schwerste und weitreichende Schäden erkennen lassen.

– Aus feingeweblichen pathologischen Untersuchungen wissen wir, dass sich die Odontoklasten nicht etwa einzelne Zähne raussuchen und diese anfressen, sondern dass alle Zähne zugleich attackiert werden, nur mit unterschiedlich schnellem Erfolg. Ist also auch nur an einem einzigen Zahn eine FORL entdeckt worden, sind (auf mikroskopischer Ebene) auch alle anderen Zähne betroffen. Deshalb sind Katzen, bei denen FORL diagnostiziert und (erst)behandelt wurde, sehr engmaschig (nach meinem Dafürhalten alle vier Monate!) auf ein Fortschreiten der Schäden zu kontrollieren. Auch wäre ein scharfes Augenmerk der Besitzer bezüglich (wieder) auftretender Verhaltensänderungen wünschenswert.

– Aufgrund der Unklarheit über die auslösenden Faktoren ist keine sinnvolle Prophylaxe möglich. Und komme mir jetzt bitte niemand mit Rohfütterung! Das Verzehren von rohen Beutetieren mag (auch nach meinem Eindruck!) einen begrenzten positiven Einfluss haben, ist aber keineswegs des Rätsels einzige Lösung, denn selbst gewohnheitsmäßige Mäusefresser und Großraubkatzen in freier Wildbahn erkranken an FORL. Die typischen Defekte sind auch an Katzenschädeln bis zurück ins Pharaonenreich nachweisbar. Zu diesen Zeiten gab es ganz sicher noch kein Dosen- oder Trockenfutter!

– Die Therapie ist so simpel wie destruktiv: Die befallenen Zähne müssen raus! Das Ziel der Behandlung muss der Erhalt einer schmerzfreien Mundhöhle sein, und zwar unter Opferung jedes befallenen Zahns. Was Besseres ist uns leider bisher nicht eingefallen. Und sogar diese notwendigen Zahnextraktionen sind bei FORL-Katzen viel schwieriger als im Normalfall, weil die Krankheit zu einem Verwachsen (Ankylosierung) von Zahnwurzel mit dem umliegenden Knochen führt. Aber, und es ist sehr wichtig, dass Sie als Katzenbesitzer das wirklich verinnerlichen: Eine von FORL befallene Katze weiß diese radikale Therapie mit Sicherheit sehr zu schätzen. Lieber keine Zähne im Maul als den permanent schmerzhaften und für Kauvorgänge sowieso kaum mehr brauchbaren Zahnschrott, den eine FORL-Erkrankung produziert! Wir bekommen ausgesprochen häufig die Rückmeldungen von Besitzern, wie überaus positiv sich das Befinden ihrer Katzen nach diesen Eingriffen verändert hätte. Und keine Angst: Die Futteraufnahme stellt selbst bei kompletter Zahnlosigkeit nicht das geringste Problem dar.

– Und jetzt noch eine angesichts der enormen Häufigkeit von FORL ganz unangenehme Tatsache: Die sichere Diagnose und korrekte Therapie kann leider nur in einer Tierarztpraxis gewährleistet werden, die über die entsprechenden technischen Voraussetzungen verfügt. Wie in einem anderen Artikel schon einmal und zum Missfallen mancher Kolleginnen und Kollegen geäußert: Wenn eine Praxis keine Dentalröntgeneinrichtung hat, müssen Sie sich nicht wundern, wenn dort die Diagnose und demzufolge auch die Therapie einer FORL-Erkrankung Ihrer Katze völlig in die Hose geht. Es gibt nach unseren Erfahrungen nur sehr wenige Katzen, bei denen man auf Einmal-Rundrum-Röntgen aller Zähne guten Gewissens verzichten könnte. Und bevor ich jetzt wieder mein Fett abbekomme, zitiere ich einfach noch einmal Kollege Eickhoff, dessen Qualifikation wohl über jeden Zweifel erhaben sein dürfte: „Da die Erkrankung im nicht sichtbaren Wurzelbereich beginnt, ist eine Diagnosesicherung während der Anfangsstadien nur über Einzelzahnröntgenaufnahmen möglich.“

Diese Aussage würde ich aus persönlicher Erfahrung noch ergänzen wollen: Selbst weit fortgeschrittene Fälle von Wurzelresorptionen (siehe eines der Bilder oben) sind oft nur durch Zahnröntgen erkennbar. Rein statistisch werden bei sage und schreibe 30 Prozent der optisch und per Sondierung als gesund eingeschätzten Zähne durch Röntgen eben doch Defekte gefunden. Ist also in einer Tierarztpraxis die Rede davon, dass bei der Zahnreinigung an Ihrer Katze FORL entdeckt wurde, und werden Ihnen dazu keine Röntgenbilder aller Zähne gezeigt, können Sie über den Daumen gepeilt einfach davon ausgehen, dass da noch mehr befallene Zähne sind, die erst gar nicht gefunden und dementsprechend auch nicht entfernt wurden. Ihre Katze wird nach dieser Behandlung aller Wahrscheinlichkeit nach weiter still vor sich hin leiden. Ich kann es Ihnen also nicht ersparen: Sie werden – wenn es um Katzenzähne geht – frontal fragen müssen, ob die Praxis Ihrer Wahl über eine dentale Röntgeneinrichtung verfügt und diese auch beim geringsten Verdacht bzw. bei entsprechendem Alter der Katze zur Anwendung zu bringen beabsichtigt.

– Und das führt uns zur letzten schlechten Nachricht: Wie immer ist das Bessere der Feind des Guten! Wo man früher rein durch Beäugen und Sondieren der Zähne versucht hat, FORL zu entdecken, gilt heute das Zahnröntgen als unerlässliche Diagnostik, wenn man nicht von der Krankheit befallene und böse schmerzende Zähne übersehen will. Um mich nochmal zu wiederholen: Der wirkliche Gebiss-Status einer Katze ist ohne Röntgen genau so unmöglich zu beurteilen wie der Zustand eines Hüftgelenkes beim Hund. Dadurch entstehen aber auch beträchtlich höhere Kosten als bei Katzenzahnsanierungen in früheren Zeiten. Und weil durch das Röntgen mehr befallene Zähne entdeckt werden, müssen zwangsläufig auch mehr (bei FORL oftmals schwierige!) Zahnextraktionen durchgeführt werden, die die fälligen Gebühren noch einmal weiter nach oben treiben.

In einer Diskussion über dieses Thema hat mir mal ein Kollege vorgehalten, dass das alles für den „normalen“ Katzenbesitzer zu teuer werden würde. Ich habe damals so geantwortet, und dazu stehe ich nach wie vor: „Unsere primäre Aufgabe als Tiermediziner ist NICHT, uns schon mal prophylaktisch Gedanken um den Geldbeutel der Tierbesitzer zu machen, sondern tiermedizinische Versorgung nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik anzubieten und damit unseren Patienten, den Tieren, bestmöglich zu helfen. Über die individuelle Tragbarkeit der Kosten muss sich dann schon der Tierbesitzer seine Gedanken machen. Es wird immer den optimalen Weg geben und es wird zwangsläufig immer auch Kompromisslösungen aufgrund finanzieller Zwangslagen geben. Weder ich noch Sie noch irgendeine Kollegin oder irgendein Kollege haben die FORL erfunden, um die Katzenbesitzer auszuplündern. Aber wir haben in den letzten Jahren herausgefunden, dass wir uns fachlich an den Katzen versündigen, wenn wir NICHT per Dentalröntgen nach den versteckten und schmerzhaften Zahnschäden suchen. So ist es nun mal, und das lässt sich mit allem Gejammer über die Kosten nicht ändern.“

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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