Von Ralph Rückert, Tierarzt
Die Katze ist in vielerlei Hinsicht zäh wie Schuhleder. Sie hat (zumindest als Freigänger) ein geradezu gusseisernes Immunsystem und eine fantastisch anmutende Wundheilung. Sie macht selbst schwerste chronische Schmerzzustände in aller Stille mit sich selbst aus. Sie kann Narkosen ab, bei denen andere Spezies sterben würden wie die Fliegen. Und sie gilt (zumindest im Vergleich zum Hund) als genügsames und billiges Haustier.
Alles schön und gut, aber im grellen Licht der tiermedizinischen Realität besehen, erwachsen den Samtpfoten aus der Kombination dieser eigentlich positiven Eigenschaften gern schwere Nachteile, denn viel zu oft werden sie zum Opfer von Geiz, Ignoranz und Vernachlässigung.
Nach dreißig Jahren in diesem Beruf kann ich die Zahl der Telefonanrufe gar nicht mehr zählen, bei denen sich Katzenhalter nach dem Preis der Kastration einer Kätzin oder eines Katers erkundigt haben. Berufsintern haben diese Leute den Spitznamen „Shopper“. Keine Tierhaltergruppe scheint so sehr wie Katzenbesitzer von dem in meinen Augen absurden Wunsch getrieben zu sein, Leben und Gesundheit ihres Tieres unbedingt in die Hände des billigsten Anbieters legen zu wollen. Da werden – wenn man das Stadtgebiet mit etwa 20 Anrufen und einem Zeitaufwand von locker einer Stunde abtelefoniert hat – auch noch alle Praxen des näheren Umlandes befragt und dann gern mal zwanzig Kilometer einfach zurückgelegt, um nochmal einen Zehner rauszuschlagen. Man muss sich klar machen: Bei den Kastrations-OPs von Kater und Kätzin reden wir beileibe nicht von ruinös teuren Eingriffen, sondern von Beträgen, die man für ein, zwei Tankfüllungen oder für eine bessere Marken-Jeans hinlegt, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken.
Dies alles geschieht natürlich in völliger Verkennung betriebswirtschaftlicher und medizinischer Realitäten. Was muss man tun, wenn man eine Leistung so billig wie möglich anbieten will? Klar, man muss an allen Ecken und Enden Kosten einsparen und letztendlich pfuschen. Will man das bei einem operativen Eingriff, und sei er auch noch so simpel? Ich hätte gesagt: Auf keinen Fall! Viele Katzenbesitzer scheinen das aber anders zu sehen. Und die sprichwörtliche Zähigkeit der Katze scheint ihnen vordergründig auch noch recht zu geben.
Ich habe mal als Student bei einem Kollegen gearbeitet, der für seine billigen Katzenkastrationen stadtbekannt war. Er hat, damit überhaupt ein wenig dran verdient war, buchstäblich jeden Pfennig (ja, damals noch Pfennig) eingespart, der einzusparen war. Die Narkose war eine Spritze für Einemarkzehn in den Hintern, und zwar für alle Katzen in der gleichen Dosierung. Vorher wiegen oder gar untersuchen? Quatsch, kostet nur Zeit! Und wenn es dann zu viel Narkosemittel war und die Katze ein paar Minuten gar nicht mehr geatmet hat? Kein Problem, die fängt schon wieder an zu schnaufen! Und wenn es zu wenig war und die Katze bei der OP angefangen hat, sich zu winden und zu schreien? Auch kein Problem, für die paar Minuten geht das schon mal, die Viecher halten das gut aus! Sterile Handschuhe? Wo denken Sie hin? Mit den nackten Fingern wurde da in der weit offenen Bauchhöhle nach den Eierstöcken gesucht. Sterile Instrumenten-Sets? Dass ich nicht lache! Wenn da am Vormittag aufgrund des so attraktiv billigen Angebotes mal schnell sieben Katzen am Fließband operiert wurden, hat man die gebrauchten Instrumente fix zwischendurch am Wasserhahn abgespült und weiter ging es ohne Zeitverlust. Schmerzmittel oder angesichts der hygienischen Zustände dringend angezeigte Antibiotika? Machen Sie keine Witze!
Das Blöde nur: Ich habe in dieser Praxis nach meiner Erinnerung nur ein, zwei Katzen erlebt, die aufgrund dieser haarsträubenden Vorgehensweise gestorben sind. Die halten das tatsächlich aus! Und genau das ist (für die Gesamtheit der Katzen) sehr bedauerlich, denn wenn sie, wie es eigentlich sein müsste und wie bei Hund oder Mensch üblich, durch solche medizinischen Barbareien in großer Zahl sterben würden, hätte sich schon lange was geändert. So aber gibt es diese Methoden bis zum heutigen Tag, und jeder Tierhalter, der auch noch dem allerbilligsten Kastrationspreis nachläuft, kann sich sicher sein, dass er seiner Katze so ziemlich genau das einbrockt, was ich beschrieben habe. Keiner, auch nicht der größte Billig-Kastrierer, zahlt bei so einem Eingriff drauf. Also muss er an allem sparen, was heute für zum Beispiel den Hund als Standard gilt: Venöser Zugang, Intubation, balancierte Anästhesie, Monitorüberwachung, sterile Kautelen und anständige Schmerzmittelabdeckung. Ich habe durchaus schon mit Kolleginnen und Kollegen geredet, die sich über den Aufwand, den ich bei Katzen betreibe, offen lustig gemacht und angemerkt haben, dass sie in der Zeit, die ich für eine Kätzin brauche, vier kastrieren könnten.
Das mag sein, aber mir geht eine Sache nicht aus dem Kopf, die mich schwer daran zweifeln lässt, dass die Katzen diese Low-Budget-OPs wirklich immer so unbeschadet überstehen, wie viele glauben. In den ersten ein, zwei Jahren nach meiner eigenen Praxiseröffnung 1989 habe ich – zumindest was die Narkosetechnik angeht – auch nicht viel anders gemacht als der Kollege, von dem ich oben erzählt habe. Was mir immer wieder auffiel: Viele Tierbesitzer beklagten sich nach der Kastration über starke und lang (oder sogar dauerhaft!) anhaltende Verhaltensänderungen ihres Tieres.
Ungefähr zur gleichen Zeit wurden Pulsoximeter – heute alltäglich, damals sensationell – für uns Tierärzte so langsam bezahlbar, so dass wir uns auch so ein praktisches Teil zugelegt haben, das übrigens bis heute funktioniert. Was macht ein Pulsoximeter? Wenn man den Sensor an einem durchbluteten Körperteil (Zunge, hell bepelzte Pfote, etc.) anklippt, misst ein Pulsoximeter die Pulsfrequenz und die Sauerstoffsättigung des Blutes. Man kann damit also Sauerstoffunterversorgungen (Hypoxie) des Körpers während der Narkose sehr zuverlässig entdecken. Ein Mensch oder Tier bei vollem Bewusstsein und ohne respiratorische Einschränkungen kommt bei der Sauerstoffsättigung grundsätzlich auf Werte zwischen 97 und 100 Prozent. Während einer Narkose ist alles über 95 Prozent ganz prima. Sinkt der Wert unter 95, fängt der Blick des erfahrenen Anästhesisten an zu wandern: Stimmt irgendwas nicht? Tubus frei? Schlauchverbindungen alle fest? Unter 90 Prozent richtet sich dann bereits alle Aufmerksamkeit auf den Patienten, um das offenbar vorliegende Problem schleunigst zu finden und zu beheben.
Jetzt schätzen Sie doch mal, was wir damals mit unserem brandneuen Gerät bei Katzen mit der klassischen Billignarkose (Spritze in den Hintern, keine Intubation, keine zusätzliche Sauerstoffgabe) für Sauerstoff-Sättigungswerte gesehen haben. Diese Katzen lagen oft während der ganzen OP nicht höher als bei 55 bis 60, in Einzelfällen auch mal unter 50 Prozent! Und das ist die Tatsache, die mich zu dem Schluss bringt, dass die damals von den Besitzern beklagten Wesensveränderungen letztendlich auf einen hypoxischen Hirnschaden zurückzuführen waren. Wenn ich heute darüber nachdenke, läuft es mir kalt den Buckel runter.
Um so weniger Verständnis habe ich dafür, dass supergeizige Katzenbesitzer und willfährige Kolleginnen und Kollegen in unheiliger Allianz bis zum heutigen Tag solche Vorgehensweisen wählen und die damit verbundenen Risiken offenen Auges eingehen, mit dem einzigen Ziel, den Preis des Eingriffes so niedrig wie möglich zu halten. An diese Tierbesitzer gerichtet kann ich nur sagen: Dann lasst halt die Katzenhaltung sein, wenn das Geld derartig knapp ist! Und an die Kollegenschaft gerichtet: Dann macht halt den Laden endlich zu, wenn euer wirtschaftliches Überleben wirklich davon abhängt, dass ihr jedes Jahr möglichst viele Katzenkastrationen zu Dumping-Preisen durchzieht!
Ich bin Insider! Ich weiß aus erster Hand, dass diese steinzeitlichen Billignarkosen keineswegs nur historische Anekdoten, sondern im unteren Preissegment nach wie vor gang und gäbe sind. Überall in Deutschland und jeden Tag winden sich entweder nicht ausreichend betäubte Katzen vor Schmerzen auf den OP-Tischen der Discount-Praxen oder sie wachen – oft erst Stunden nach dem Eingriff – halb verblödet wieder auf, weil sie zu viel Narkosemittel und demzufolge zu wenig Sauerstoff abbekommen haben. Lese ich dann in Katzenhalter-Foren und -Gruppen im Netz, wie sich Leute dafür feiern lassen, dass sie ihre Katze für einen „supergünstigen“ Betrag haben kastrieren lassen, wird mir schlecht!
Und damit kommen wir zum zweiten Problemfeld, in dem die Katze regelmäßig die Arschkarte zieht, nämlich zu den Zähnen. Wie oft wird mir eine ältere Katze mit Störungen des Allgemeinbefindens vorgestellt, deren Besitzer mir mit stolzem Unterton verkünden, dass das Tier noch nie krank oder überhaupt beim Tierarzt gewesen wäre! Einzig und allein, weil ich weiß, womit ich in solchen Fällen so gut wie immer zu rechnen habe, falle ich bei der Untersuchung der Mundhöhle solcher Katzen nicht regelmäßig vor Entsetzen von meinem Behandlungshocker. Glauben Sie mir, ich sehe ständig, fast täglich, Zahnbefunde von Katzen, die einem vor Mitleid die Tränen in die Augen treiben könnten.
Zeige ich dann den Besitzern die entzündeten, eitrigen oder gar blutenden Zahnruinen ihrer Katze, an denen man außer der schleunigsten Extraktion gar nix mehr machen kann, ist das (völlig berechtigte) Erschrecken meist groß. Es will mir irgendwie trotzdem nicht in den Kopf, warum unsere, also die Aufklärungsarbeit der vorwiegend mit Zähnen befassten Tierärzte, im Internetzeitalter immer noch nicht bei vielen Katzenbesitzern ankommt. Die meisten Menschen putzen ihre eigenen Zähne wie die Weltmeister, gehen alle sechs bis zwölf Monate zur professionellen Zahnreinigung und kommen trotzdem nie auf die Idee, bei ihrer Katze wenigstens mal ins Maul zu schauen.
Allerdings verstehe ich es noch viel weniger, wenn ich am Impfpass einer Katze sehe, dass diese vor nicht allzu langer Zeit irgendwo beim Impfen war und dabei offenbar die Zähne keines Blickes gewürdigt wurden oder aber die Aussage getätigt wurde, dass man in dem Alter da nichts mehr dran machen könne. So ein Unsinn, ehrlich! Wenn ein alter, herzkranker und übergewichtiger Mensch einen Kieferabszess oder einen Beinbruch hat, macht man dann auch nichts, nur weil er alt ist und ein höheres Narkoserisiko hat?
Also, jetzt zum wiederholten Mal ein paar ganz einfache Regeln, die Zähne von Katzen betreffend:
1. Lassen Sie regelmäßig die Zähne Ihrer Katze von Ihrem Tierarzt kontrollieren! In den ersten fünf Lebensjahren ist einmal pro Jahr (also im Rahmen des sowieso notwendigen Jahres-CheckUps) ausreichend, danach wären kürzere Abstände zur Vermeidung von monatelangen Leidenszuständen durchaus angebracht. Wird in einer Praxis bei einer Routineuntersuchung (besser noch: bei jeder Untersuchung!) nicht genauestens auf die Zähne geschaut, können Sie als Katzenbesitzer, der für sein Tier nur das Beste will, auch gleich wieder gehen.
2. Freigänger, die viele Mäuse (die „Zahnbürsten der Katze“) fressen, haben durchschnittlich einen besseren Zahnstatus als Stubenkatzen. Andersrum gesagt: Eine Stubenkatze über fünf Jahren ohne Zahnprobleme ist eine echte Ausnahmeerscheinung!
3. Die Tierarztpraxis, die sich um die Zahnprobleme Ihrer Katze kümmern soll, MUSS verpflichtend ein Dentalröntgengerät haben und auch anwenden. Jede zweite Katze über fünf Jahren leidet (und zwar so richtig!) an FORL (Feline Odontoklastische Resorptivläsionen). Die durch FORL verursachten und extrem schmerzhaften Zahnschäden können in den meisten Fällen nur durch Zahnröntgen sicher nachgewiesen werden. Deshalb macht es einfach keinen Sinn, eine Praxis mit der Mundhöhlensanierung Ihrer Katze zu beauftragen, die nicht über diese Technik verfügt. Wenn Ihnen nach der Zahnsanierung Ihrer Katze nicht anhand einer Serie von Röntgenbildern erläutert wird, warum dieser oder jener Zahn entfernt wurde, haben Sie letztendlich nur gutes Geld verbrannt, können sich aber nicht sicher sein, dass Ihre Katze nicht immer noch anhaltende Zahnschmerzen hat. Ich weiß, das klingt hart und durch die ständige Wiederholung vielleicht auch eintönig, aber ich sehe nicht ein, dass ich um den heißen Brei feststehender Tatsachen herumreden soll. Sie werden mir einfach glauben müssen, dass wir oft genug Katzen auf dem Zahnbehandlungstisch liegen haben, bei deren Zahnstatus-Erhebung noch alles ganz ordentlich aussieht, man aber bei der Betrachtung der Röntgenbilder glatt vom Glauben abfällt, weil sich unter der Zahnfleischoberfläche, an den Zahnwurzeln, wahre und schmerzhafte Dramen abspielen.
4. Und damit schließt sich der Kreis: Narkosen für korrekte Zahnbehandlungen bei der Katze inklusive komplettem Durchröntgen und eventuell dann auch noch fälligen Zahnextraktionen können sehr lang sein, gerne mal über zwei Stunden. Und das bei Tieren, die oft nicht mehr wirklich jung sind und die schon das eine oder andere chronische Problem mit Herz, Nieren oder Schilddrüse haben. Das ist unter Sicherheitsaspekten ganz sicher nicht mit einer Billignarkose durchführbar. Da sollten ganz im Gegenteil alle anästhesiologischen Register gezogen werden.
Und das alles sollen und müssen Sie leider bezahlen. Ich kann es nicht ändern. Die FORL und andere Zahnprobleme der Katze sind keine Erfindung von uns Tierärzten. Wer da bezüglich der Kosten zusammenzuckt oder sich gar aufregt, dass das angeblich so billige Haustier Katze auf einmal richtig ins Geld geht, der sollte halt einfach keine Katzen halten.
Eines ist sicher: Das ist nicht der erste und es war auch nicht der letzte Artikel zu dem Thema. Der tägliche Blick in Katzen-Mundhöhlen zeigt mir immer wieder, dass wohl nur ständige Wiederholung irgendwann mal eine ausreichend große Aufklärungsquote erzielen kann, um Katzen vor schrecklichem und vor allem unerkanntem Leid zu bewahren.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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