Von Ralph Rückert, Tierarzt
Dieser Videoclip rauscht gerade durchs Netz und wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt annähernd 250000 mal geteilt. Um verstehen zu können, um was es dabei geht, muss man leider Englisch sprechen. Ich kann mir im Rahmen dieses Postings nicht die Arbeit machen, eine Übersetzung zu liefern, sorry.
Beispielhafte Kommentare zu dem Video, die ich gestern gelesen habe:
„Ich bin schockiert… Das wusste ich gar nicht. Warum macht man sowas?“
„Das wusste ich auch nicht. Mir war nur bekannt, dass jährliches Impfen überholt ist.“
Um die dreiste Unredlichkeit dieses Clips beurteilen zu können, benötigt man leider ungewöhnlich viele Hintergrundinformationen, und zwar zum einen zur Person des dargestellten Kollegen, Dr. John Robb, und zum anderen zu immunologischen Zusammenhängen.
Beginnen wir mit Kollege Robb: Etwa ein Fünftel der US-amerikanischen tiermedizinischen Praxen und Kliniken befindet sich in der Hand großer Ketten. Eine dieser Ketten (ich denke, die größte) ist die 1955 gegründete und über 800 Standorte umfassende Banfield Pet Hospital, eine Tochter des Giganten Mars Incorporated. Banfield positioniert seine Kliniken gern in einer der über 1300 Filialen der riesigen PetSmart-Tierbedarfs-Kette. Robb, der 1999 seine erste Praxis für eine Million Dollar an die Klinikkette VCA verkaufte und dann 6 Jahre für VCA arbeitete, erwarb 2009 für 400000 Dollar eine Banfield-Franchise-Klinik, integriert in eine PetSmart-Filiale in Stamford, Connecticut. Wenige Monate zuvor war Banfield eine Tochter von Mars geworden.
Robb kam irgendwann zu der Ansicht, dass speziell die Tollwut-Impfung für die Tiere gefährlich sein könnte, und begann damit, Hunden unter ca. 22 kg Gewicht nur noch die halbe Impfdosis zu verabreichen. Nach Verwarnungen von Banfield, dass diese Praxis gegen die Behandlungsleitlinien der Kette und gegen die Gesetze des Staates Connecticut verstoßen würde, wurde Robb im Dezember 2012 deshalb sein Franchise gekündigt. Er erhielt in seiner ehemaligen Klinik und in der PetSmart-Filiale Hausverbot, für dessen Missachtung er einmal verhaftet und wohl auch einmal in eine psychiatrische Einrichtung verbracht wurde. Banfield war gezwungen, 5000 von Robbs ehemaligen Kunden anzuschreiben und 1500 Hunde kostenlos nachzuimpfen.
Robb ist der Meinung, dass Banfield seit dem Verkauf an Mars im Sinne einer neuen Unternehmenskultur und auf breiter Front Franchise-Nehmer unter vorgeschobenen Gründen abzusägen versucht. Banfield hat Robb verklagt, Robb hat Banfield verklagt, die (schmutzige) gerichtliche Auseinandersetzung zieht sich bis heute hin. Robb führt inzwischen einen Kreuzzug gegen Banfield, der zeitweise absurde Züge annimmt. Zum Beispiel wies er 2013 ein Vergleichsangebot von Banfield zurück und forderte seinerseits die irrwitzige Summe von 20 Millionen Dollar, die Umbenennung von Banfield in „Protect the Pets“ und seine Ernennung zum Chef-Tierarzt der gesamten Kette.
Inzwischen ist Robb außerdem wohl von der Tierärztekammer des Staates Connecticut wegen der geschilderten und gesetzeswidrigen Impfpraxis dazu verurteilt worden, für 25 Jahre keine Tollwut-Impfungen mehr verabreichen und für fünf Jahre nur unter Aufsicht eines von der Kammer bestellten Kollegen arbeiten zu dürfen. Angesichts dieser geharnischten Reaktion der berufsständischen Institutionen muss man sich unbedingt ins Gedächtnis rufen, dass die USA (im Gegensatz zu Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern) nach wie vor ein flächendeckendes Tollwut-Problem haben. Ein Impfstoff-Experte äußerte sich mit einem gewissen Recht dahingehend, dass ihm entschieden unwohl wäre, wenn er es mit einem von Robb nur mit der halben Dosis geimpften Hund zu tun haben würde.
Ganz sicher als hochgradig unethisch (auch nach unseren hiesigen Maßstäben) ist zu bewerten, dass Robb nach eigenen Angaben die überwältigende Mehrzahl der betroffenen Kunden nicht über die Dosisreduktion des Impfstoffes unterrichtet hatte. Er sagte dazu wörtlich: „Ich muss da nicht reingehen und eine Diskussion führen. Sie (die Kunden) erwarten von mir, die Entscheidung über die korrekte Menge einer Medikation zu treffen…Ich weiß, dass das, was ich tue, richtig ist.“
Persönliche Anmerkung: Die Figur John Robb erinnert mich irgendwie an den Kleistschen Michael Kohlhaas. Nach allem, was ich gelesen habe, nehme ich Robb ab, dass er seiner festen Überzeugung nach zum Wohle der ihm anvertrauten Tiere gehandelt hat. Aus dieser Sichtweise heraus ist er nun ebenso fest davon überzeugt, dass ihm ein Unrecht angetan wurde, und dagegen läuft er Sturm, ohne Rücksicht auf Verluste. Robb ist das, was man in den Staaten einen „born again christian“ nennt, ein Evangelikaler, der im Auto eine Hörbuchfassung der Bibel hört, weil er nach eigener Aussage, wenn er einsteigt, die Stimme des Herrn hören muss. Aus meiner Sicht ist Robb ein Eiferer, wenn nicht sogar ein Fanatiker. Es ist nach europäischen Maßstäben nicht besonders problematisch, ihn rundweg als Spinner zu bezeichnen.
Womit wir bei der Erörterung der immunologischen Hintergründe angekommen sind. Ist Robb nun ein Spinner oder hat er mit der Halbierung der Impfdosis für kleinere Tiere etwa recht? Robb hat eine (einzige) Verbündete, die in den USA und besonders in impfkritischen Kreisen recht prominente Kollegin W. Jean Dodds. Sie behauptet, dass Impfdosen ohne Sicherheitsverlust an die Größe des Impflings angepasst werden könnten und dass sie das ebenso praktiziert hätte.
Sehr viele Experten halten das aber für grundfalsch und gefährlich. Selbst Kollege Ronald Schultz, ein Veteran der Impfstoff-Forschung, ehemaliger Professor an der Madison School of Veterinary Medicine in Wisconsin und Mitautor der bekannten und progressiven Impfleitlinien der WSAVA (ja, genau, das ist der Schultz, der die überall im Netz verbreitete 7-Jahre-Wirkdauer für Virusimpfstoffe herausgefunden hat!) weist den Gedanken einer Reduktion der Impfdosis für kleinere Tiere strikt zurück. Er besteht darauf, dass Impfstoffe die einzigen Medikamente sind, die nicht gewichtsbezogen dosiert werden dürften. Es gehe vielmehr um die „minimale immunisierende Dosis“, die für alle Körpergrößen gleich wäre.
Nun sind wir Praktiker alle keine Immunologen oder Impfstoff-Forscher. Darauf hebt das Argument von Kollege Arnold Goldmann von der Tierärztekammer Connecticut ab: „…wir (Praktiker) sind nicht in der Position, um die Wirksamkeit oder die Anwendungsbestimmungen eines offiziell zugelassenen Impfstoffes auf der Basis von Körpergröße oder fallabhängig in Frage zu stellen. Zu behaupten, dass wir das könnten, wäre der Gipfel der Überheblichkeit.“
In die gleiche Kerbe schlägt Kollege Mark Russak, Präsident der American Hospital Association (AHA). Er sagt, dass er noch nie aus einer glaubwürdigen Quellen erfahren hätte, dass eine Impfdosis zwar ein Milliliter wäre, man sie aber einfach nach eigenen Gutdünken ohne Schaden verringern könnte. Das würde einfach keinen Sinn machen.
Russak erwähnt in seinem Statement auch, dass er in dreißig Jahren praktischer Tätigkeit noch nie ein Tier an den Folgen einer Impfung habe sterben sehen. Dem schließe ich mich ganz klar an. Robbs Bemerkung in dem Video, dass „da draußen Tausende von Tieren an Impfungen sterben“, dass „im Moment, wo wir hier sitzen, wieder fünf oder sechs Tiere an einer Impfung sterben“, ist selbst für ein Land der Größe der USA lächerlich und durch vorliegende und sehr umfangreiche Daten aus aller Herren Länder absolut nicht zu stützen. Kein Praktiker, den ich kenne, kann solche Aussagen auch nur annähernd nachvollziehen.
Ich will nicht völlig ausschließen, dass die Impfstoff-Forschung in der Zukunft herausfinden wird, dass für sehr kleine Individuen auch geringere Antigen-Dosen für eine erfolgreiche Immunisierung ausreichen. Die Medizin ist nun mal eine sich ständig weiter entwickelnde Wissenschaft. Im Moment aber ist der Stand des Wissens der, dass Impfdosen gewichtsunabhängig sind. Auch unsere 12 Monate alten Kinder bekommen schließlich die gleiche Impfdosis wie ein Erwachsener. Speziell bei einer hundertprozentig tödlichen Krankheit wie Tollwut impfen wir unsere Haustiere nicht nur, um SIE zu schützen, sondern (und eigentlich in erster Linie) um UNS MENSCHEN zu schützen. Damit spielt man nicht einfach auf einer völlig unwissenschaftlichen Basis rum, indem man mal kurz die Dosis halbiert.
Mein persönliches Fazit: Ja, Kollege Robb ist leider ein Spinner! Allein der Aufzug mit OP-Kittel und Stethoskop um den Hals in einer Anhörung reicht mir da schon dicke! Er hat aus berufsrechtlichen und ethischen Gründen völlig zu Recht ordentlich eine zwischen die Hörner bekommen! Und ganz besonders ärgert mich die abschließende Grafik des Video-Clips, durch die versucht wird, einen Zusammenhang zwischen der ungewöhnlich hohen Selbstmordrate in unserem Berufsstand und dem Schicksal eines Kollegen herzustellen, der bekommen hat, was er sich eingebrockt hat. Eine der wichtigsten Regeln des Kodex „Good Veterinary Practice“ ist die Einhaltung geltender rechtlicher Bestimmungen. Wer sich eine Zielscheibe auf die Nase malt, mit dem Finger darauf zeigt und sagt: Bitte einmal fest zuschlagen!, der muss sich nicht wundern, wenn das ganze mit Blut und Tränen endet.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
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