Von Ralph Rückert, Tierarzt
Gerade neulich wurde ich durch eine Frage in einer Facebook-Gruppe darauf aufmerksam, dass ich zwar schon jede Menge zum Thema Hundezähne gepostet, aber noch nie einen Blog-Artikel speziell über die Zahngesundheit des Hundes geschrieben habe. Diese (Zahn-)Lücke muss ich natürlich schleunigst füllen.
Da man mit dem Thema ganze Lehrbücher füllen kann (und es diese schon reichlich gibt), geht es mir darum, den Hundebesitzern einen knappen und gut lesbaren Überblick zu verschaffen.
Aus tierzahnmedizinischer Sicht hat der Hund drei Lebensphasen: Die Zeit der Milchzähne, den Zahnwechsel und den Rest des Lebens.
An den Milchzähnen interessieren uns vor allem zwei Dinge: Die Zahnstellung und eventuelle Zahnverletzungen.
Bereits am Milchgebiss lässt sich in vielen Fällen vorhersagen, ob das spätere Dauergebiss eine korrekte Zahnstellung oder deutliche und funktionseinschränkende Fehlstellungen aufweisen wird. Besonders häufig sind die bei einigen Rassen (Bulldoggen!) geduldeten oder gar erwünschten Oberkieferverkürzungen, die teilweise krasse Formen annehmen können. Seltener sieht man dagegen verkürzte Unterkiefer. In beiden Fällen kann es schon in der Phase des Milchgebisses dazu kommen, dass sich Eckzähne schmerzhaft in den Kiefer der Gegenseite bohren.
Von großem Interesse, weil recht häufig vorkommend und oft durch Besitzer und Tierärzte falsch gehandhabt, sind Frakturen (Brüche) der Milcheckzähne. In der Regel wird bei so einer Fraktur die Pulpahöhle (also das Zahnmark, der „Nerv“) eröffnet. Das tut zum einen natürlich ordentlich weh, zum anderen entsteht dadurch eine Art sechsspurige Autobahn für Bakterien tief in den Kieferknochen hinein und bis ganz in die Nähe des sich darunter bildenden Eckzahns des Dauergebisses. Wird dieser mächtige Zahnkeim durch die eindringenden Bakterien geschädigt, ist das nicht wieder gut zu machen. Schlussfolgerung: Ein abgebrochener Milcheckzahn sollte ohne Zögern entfernt werden. Diese Extraktion muss mit großer Vorsicht erfolgen, damit weder die fragile Wurzel abbricht noch der nachrückende Dauer-Eckzahn beschädigt wird. Zahnröntgenaufnahmen sind dabei zur Orientierung und Erfolgskontrolle häufig sehr hilfreich.
Mit etwa 18 Wochen beginnt der Zahnwechsel, dessen Verlauf genau beobachtet werden sollte. Speziell bei kleinen Hunderassen kommt es – irgendwas zwischen häufig und unweigerlich – zu persistierenden Milcheckzähnen. Dabei wächst der nachrückende Eckzahn des Dauergebisses am Milcheckzahn vorbei, ohne dass letzterer ausfällt, so dass am Ende Milch- und Dauercaninus nebeneinander stehen. Das hört sich erst mal nicht so dramatisch an. Ist es aber meist! In vielen Fällen entstehen dadurch Zahnstellungsprobleme, die bei nicht rechtzeitigem Eingreifen im weiteren Verlauf äußerst aufwändige und kostspielige kieferorthopädische Korrekturmaßnahmen notwendig machen können. Züchter, also genau diejenigen, die das Problem persistierender Milchzähne erst verursacht haben, raten den Welpenbesitzern gern zum gelassenen Abwarten. Dies natürlich meist ohne jede Bereitschaft zur Übernahme eventueller Folgekosten. Man sieht das auch rein fachlich inzwischen etwas entspannter als früher. Ist man der begründeten Meinung, dass durch Abwarten keine permanente Fehlstellung oder andere Schäden entstehen werden, kann man ruhig ein paar Wochen darauf hoffen, dass die Milchcanini doch noch wacklig werden und ausfallen. Droht dagegen ein klares Okklusionsproblem, sollten die persistierenden Milchzähne unverzüglich entfernt werden, um den nötigen Platz für einen korrekten Kieferschluss zu schaffen.
Direkt nach dem Zahnwechsel gilt: Schöner wird es nicht, das Gebiss! Ein paar kurze Wochen oder Monate lang kann man den Anblick perfekter, perlweißer Zähne genießen, bevor unweigerlich die Bildung von ersten Belägen und Verfärbungen beginnt. Man sollte nur dringend beachten, dass die eigentlich sehr eindrucksvoll wirkenden und mächtigen Zähne des Dauergebisses in dieser frühen Lebensphase noch eine sehr weite Pulpahöhle haben und unter zu hoher Belastung gern mal abbrechen. Ich sehe es also gar nicht gern, wenn ein temperamentvoller Junghund mit seinem ganzen Gewicht an einem Ast oder Strick hängt oder in sehr harte Zerrspiele involviert wird.
Nun, kommen wir jetzt zum Hauptteil des Artikels, der sich mit dem lebenslangen Kampf gegen Zahnsteinansatz, Parodontitis (der häufigsten Krankheit der Welt) und – schlimmstenfalls – Zahnverlust beschäftigt. Machen wir es im Interesse der Lesbarkeit kurz und griffig:
1. Es gibt Tiere (und Menschen), die – was ihre Zähne angeht – von der Natur bzw. ihren Genen begünstigt sind. Sie haben eine korrekte Zahnstellung, superglatten Schmelz und eine ideale Speichelzusammensetzung. Das sind die Hunde, deren Besitzer sich im Internet gern in die Brust werfen und die tollen Zähne ihres Tieres wahlweise auf Rohfütterung, bestimmte Kauartikel, die Ultraschallzahnbürste EmmiPet, irgendwelche Globuli oder wer weiß was zurückführen. Stimmt nicht! Diese Hunde hätten auch ohne irgendwelche Maßnahmen auffallend gute Zähne und gesundes Zahnfleisch.
2. Bei allen nicht so von der Natur gesegneten Hunden herrscht in Fachkreisen die übereinstimmende Meinung, dass Zähneputzen der Schlüssel zu anhaltender Zahngesundheit ist. Oder – um noch weiter zu gehen: Bei JEDEM Hund kann man die ihm von der Natur zugeteilten Karten durch Zähneputzen (oft entscheidend!) verbessern.
3. Mit was man die Zähne putzt, ist gar nicht so entscheidend, Hauptsache, man tut es. Hier kommt wieder die oft erwähnte EmmiPet ins Spiel. Wenn man das Geld ausgeben möchte, ist das eine gut funktionierende Ultraschallzahnbürste, allerdings mit einer Einschränkung: Es wird empfohlen, den Bürstenkopf 20 – 30 Sekunden auf jeden Zahn zu halten. Da der Hund 42 Zähne hat, bedeutet das eine sehr lange Putzaktion, bei der viele Hunde (auch mein eigentlich gut trainierter Nogger) garantiert einen Föhn bekommen würden. Daher: Regelmäßiges Putzen von Hand geht erstens deutlich schneller und ist trotzdem besser als die Verwendung einer EmmiPet nur einmal pro Woche. Dabei können ganz normale Menschenzahnbürsten verschiedener Größen verwendet werden. Bei der Zahncreme sollte man aber ein für Tiere geeignetes Produkt verwenden, weil Menschenzahnpasta durch die zugesetzten ätherischen Öle und Fluoride für Hunde nicht ideal ist. Hundezahnpasta wird darüber hinaus meist durch Zugabe von Geschmacksstoffen für das Tier attraktiver gemacht
4. Bestimmte Fütterungsarten, speziell Rohfütterungskonzepte (neudeutsch BARF), haben meiner Erfahrung nach einen gewissen positiven Effekt auf die Zahngesundheit, der aber nicht überschätzt werden sollte. Wir führen sehr viele (dringend benötigte) Zahnsanierungen auch bei roh ernährten Hunden durch, bei denen gern starker Zahnsteinansatz und daraus resultierende Parodontitis an den Eckzähnen ge- und übersehen wird, da diese nicht in Kauvorgänge involviert sind.
5. Bereits etablierter Zahnstein und in den Zahnfleischtaschen sitzende Konkremente können im Gegensatz zu weichen Belägen (Plaque) nicht mehr weggeputzt werden. Da ist dann der Tierarzt gefragt, der eine professionelle Zahnreinigung unter leichter Narkose durchführt. Eine professionelle Zahnreinigung, die diesen Namen auch verdient, ist ohne Narkose NICHT möglich. Wer was anderes behauptet, der lügt oder verstößt gegen das Tierschutzgesetz! Wir wissen alle aus persönlicher Erfahrung, dass das Reinigen tiefer Zahnfleischtaschen von Konkrementen sehr unangenehm bis ziemlich schmerzhaft sein kann. Das muss sich kein Hund ohne Betäubung gefallen lassen. Zu einer professionellen Zahnreinigung gehört auch beim Hund die Röntgendiagnostik verdächtiger Zähne. Schwerer parodontaler Knochenabbau ist oft nur so zweifelsfrei zu diagnostizieren. Korrekte Dentalröntgenaufnahmen sind natürlich auch nur unter Anästhesie machbar.
6. Professionellen Zahnreinigungen kann man – egal wie – nicht lebenslang aus dem Weg gehen, was ja auch für uns Menschen gilt. Nur die unter Punkt 1 genannten Tiere kommen manchmal tatsächlich durchs ganze Leben, ohne dass was gemacht werden müsste, aber das ist sehr selten.
7. Ein schlechter Zahnzustand mit permanenter Belastung des Körpers durch Milliarden parodontal aktiver Bakterien und mit ständigen Zahnschmerzen rechtfertigt in JEDEM Alter eine Narkose! Es muss nur unbedingt die anästhesiologische Vorgehensweise an das Alter des Tieres und eventuelle Vorerkrankungen angepasst werden, um Komplikationen weitgehend vermeiden zu können. Das Unterlassen einer dringend nötigen Mundhöhlensanierung aus Angst vor Narkosekomplikationen ist grundverkehrt, wenn nicht sogar tierschutzwidrig.
Neben Zahnsteinansatz, Konkrementen und Parodontitis sind am Dauergebiss des Hundes noch zwei weitere Probleme zu erwähnen:
– Das Abrasionsgebiss: Hunde, die gewohnheitsmäßig abrasiv wirkende Gegenstände zwischen die Zähne nehmen, erleiden einen sich im Laufe der Zeit immer stärker ausprägenden Zahnabrieb, der so weit gehen kann, dass nur noch Zahnstummel übrig bleiben. Besonders vor Steinen und Tennisbällen ist in diesem Zusammenhang dringend zu warnen, aber auch mit Sand oder Erde verschmutzte Stöcke, Gummibälle und Frisbeescheiben können solche Zahnschäden verursachen. Erstaunlich ist, dass trotz weitreichender Abnutzung der Zähne in so einem Abrasionsgebiss die Pulpa meist nicht durch eine Pulpitis (Zahnmarkentzündung) zerstört wird, weil durch den allmählich erfolgenden Abrieb genug Zeit für eine Schutzreaktion des Körpers bleibt, die sogenannte Reizdentinbildung. Ein Abrasionsgebiss scheint auch keine Schmerzen zu verursachen. Trotzdem: Im Sinne des Erfinders ist es natürlich nicht, wenn schon in der Mitte des Lebens nur noch Zahnstümpfe vorhanden sind.
– Die Zahnfrakturen: Zahnbrüche kommen natürlich auch beim erwachsenen Hund vor, wenn dafür auch deutlich massivere Krafteinwirkungen als bei Milchzähnen notwendig sind. Die vor allem betroffenen Zähne sind die Eckzähne (Canini) und die Oberkieferreißzähne (vierte Prämolaren). Die Eckzähne werden meist durch Unfälle frakturiert, die Reißzähne dagegen durch Kauen auf zu harten Gegenständen wie Röhrenknochen, Hirschgeweihen, Holzstücken oder Kauwurzeln. Während die Eckzähne in beliebiger Höhe über den Zahnfleisch abbrechen können, wobei ein mehr oder weniger langer Stumpf stehen bleibt, der im Idealfall zahnmedizinisch ganz gut versorgt und damit erhalten werden kann, kommt es an den Reißzähnen durch hohe Kaudruckbelastung eher zu den berüchtigten Schollenbrüchen (Slab Fractures), bei denen die ganze Seitenwand des riesigen Zahnes abplatzt und die nicht oder nur sehr schwer zahnerhaltend behandelt werden können. Wird eine Beschädigung eines Oberkieferreißzahns nicht rechtzeitig entdeckt, kann es zur (für den Hund sehr schmerzhaften) Ausbildung einer Zahnfistel kommen, bei der sich eine eitrige Wurzelinfektion durch den Oberkieferknochen arbeitet und dann unter dem Auge nach außen durchbricht.
Für alle Arten von Zahnfrakturen kann eine gemeinsame Aussage getroffen werden: Je früher sie der Versorgung zugeführt werden, desto besser. Von den selbstredend vorhandenen Schmerzen abgesehen, entsteht nach einem Zahnbruch fast ausnahmslos eine Pulpitis bzw. ein Pulpagangrän. Diese Zerstörung des Zahnmarks schreitet meist sehr schnell voran, was zahnerhaltende Maßnahmen letztendlich vereiteln kann. Es geht dabei nicht um Wochen oder Tage, sondern eher um Stunden. Es macht also Sinn, bei durch ihre Lebhaftigkeit zu Unfällen neigenden Hunden oder bei starken Kauern das Gebiss sehr engmaschig auf Zahnfrakturen zu kontrollieren.
Noch ein abschließender Gedanke: Aus der Humanzahnmedizin stammt die Aussage, dass der regelmäßige und sorgfältige Gebrauch von Zahnbürste und Zahnseide ein Menschenleben gut und gerne um fünf Jahre verlängern kann. Vergammelte Zähne mit der entsprechenden Parodontitis sind nicht nur schmerzhaft und eklig, sie verkürzen auch definitiv das Leben. Der tägliche und unablässige Angriff von Milliarden Bakterien stellt eine Dauerbelastung für den ganzen Körper dar. Speziell die Nieren und die Herzklappen gehen unter diesem bakteriellen Dauerfeuer gern als Erste in die Knie, und dann ist es zu spät. Und wie wir aus eigener Erfahrung wissen, schränkt wenig die Lebensfreude so nachhaltig ein wie Zahnschmerzen, was natürlich auch für unsere Tiere gilt, wenn sie sich auch oft nicht allzuviel anmerken lassen. Erst nach den von uns durchgeführten Zahnsanierungen bekommen wir oft begeisterte Rückmeldungen, dass der Hund plötzlich wie verjüngt wirken würde. Bleiben Sie also am Ball, was die Zahngesundheit Ihres Hundes angeht. Er wird es Ihnen zu danken wissen!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook bzw. GooglePlus teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.