Von Ralph Rückert, Tierarzt
Wie der Zufall so spielt: Vorgestern erhielt ich eine Mail mit der Anfrage, ob ich mir eine Verwendung meiner Blogartikel in Form einer regelmäßigen Kolumne in einem von der Münchner Futtermittelfirma Terra Canis finanzierten Kundenmagazin vorstellen könnte. Aus dem Bauch heraus war ich geneigt, das an sich ja schmeichelhafte Angebot abzulehnen, weil ich grundsätzlich nicht riskieren mag, dass durch eine Kooperation mit irgendeiner Firma meine Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit untergraben wird. Trotzdem wollte ich, wie es meine Gewohnheit ist, die Sache einmal überschlafen.
Diese kurze Denkpause hat sich (mal wieder) so richtig ausgezahlt, denn gestern Morgen meldete das Magazin „Gründerszene“, dass Nestlé, der größte Nahrungsmittel-Multi der Welt, die Firma Terra Canis übernimmt. Damit war für mich natürlich blitzartig sonnenklar, dass von einer Verwendung meiner Blog-Artikel in der Vet-Telegraph genannten Kundenzeitung gar keine Rede sein konnte.
Eine kurze Erläuterung für diejenigen unter Ihnen, denen der Markenname Terra Canis gar nichts sagt: Terra Canis ist sozusagen der Rolls Royce unter den Tierfuttermitteln aus deutscher Produktion. Alles ganz toll, aus allerbesten (wenn auch teilweise mehr als unsinnigen) Zutaten, in so hoher Qualität und derartig lecker, dass Gründerin und Inhaberin Birgitta Ornau und zwei andere Damen sich vor etwa einem Jahr in einem Werbevideo der Firma gleich selbst mit bestem Appetit über ein paar Dosen hergemacht haben. Da gibt es für den (wahrscheinlich vorzugsweise im Range Rover chauffierten) Hund von Welt – um nur einige Beispiele aufzuführen – „Vietnamesischen Thunfisch mit Reis, Mango und Zitronengras“, „Kalb mit Spargel, Erdbeeren, Zucchini und Holunderblüten“, „Büffel mit Hirse, Tomaten und Papaya“ und „Pute light mit Sellerie, Ananas und Sanddornbeeren“. Das alles zu einem Preis, der pro Gramm in etwa dreimal so hoch ist wie alles, was ich mir als Student für meine eigene und die Ernährung meiner Familie leisten konnte.
Aber gut, jedem Tierchen sein Pläsierchen! Die Qualität scheint ja wirklich gut zu sein, und wenn es dem Hund schmeckt und der Geldbeutel es verkraftet – warum nicht ein wenig Dekadenz für den Vierbeiner? Und warum nicht auch – wie jetzt offenbar geschehen – ein gutes Jahrzehnt nach Gründung der Firma mit sicherlich bestem Gewinn an Nestlé verkaufen? Rein unternehmerisch sicher eine korrekte und lohnende Entscheidung. Im Gegensatz zu ca. 2000 Kunden, die seit gestern Morgen erbitterte Kommentare auf der Facebook-Seite von Terra Canis posten, will und kann ich Birgitta Ornau da keine Vorwürfe machen. Ich weiß sehr gut, dass multinationale Giganten mit einem Umsatz von 90 Milliarden Franken in der Regel finanzielle Angebote machen, die man fast nicht ausschlagen kann.
Blöd nur, dass einen bei solchen Gelegenheiten gern mal markige Aussagen aus noch gar nicht so lange vergangenen Tagen einholen und voll in den Hintern beissen. Frau Ornau hat im Prinzip an einen Konzern verkauft, dessen Tierfuttermittelsparte (27 Prozent Marktanteil) sie laut einem Welt-Artikel aus dem Mai 2016 gern als „Teil der Entsorgungsindustrie“ betitelt hat. Noch vor drei Wochen hat meine Kollegin Hanna Stephan, ihres Zeichens tiermedizinische Mietschreiberin („unsere Tierärztin“) von Terra Canis, die Facebook-Gemeinde in spürbarer moralischer Entrüstung über „minderwertige Abfälle aus der Fleischindustrie“ in den Produkten der Konkurrenz aufgeklärt. Und an genau diese Konkurrenz – oder präziser: an Nestlé, sozusagen den Gottseibeiuns unter den Konkurrenten! – hat man seinen Laden nun verkauft. Wie schon gesagt: Betriebswirtschaftlich sicher nachvollziehbar, aber angesichts der noch vor wenigen Tagen zur Schau gestellten Firmenphilosophie mehr als nur ein bisschen schräg.
Das Ganze ist genau genommen ein Lehrstück darüber, wie die Multis ihre langen Arme immer tiefer in den Heimtiermarkt stecken. Erschließt sich jemand – wie zum Beispiel Frau Ornau mit Terra Canis – unternehmerisch innovativ und energisch ein neues Segment, in diesem Fall eben Luxusfutter für Tiere und Tierhalter, die sonst schon alles haben, und kratzt damit auch nur geringfügig am Gesamtumsatz der multinationalen Kolosse, dann wird er halt einfach unzerkaut geschluckt, und zwar mit dem, was so in der Portokasse gerade rumliegt.
Warum mache ich mir so einen Kopf um eine Firma, die dekadentes und überteuertes Hundefutter herstellt? Meine Tiere bekommen sowas schließlich allenfalls mal als Jux in den Napf. Und Frau Ornau gönne ich trotz ihrer zuvor recht vollmundigen Sprüche ihren profitablen Ausstieg. Die für den gewitzten Verbraucher von vornherein fragwürdigen ethischen Eckpunkte, unter denen ein Futtermittelhersteller operiert, müssen mich ja eigentlich auch eher nicht kratzen. Nein, das Problem für mich ist, dass die Multis sich zunehmend auch in unser Berufsfeld einmischen, und zwar mit der gleichen unheimlichen Schlagkraft wie gerade am Beispiel von Terra Canis beschrieben. Und daraus ergibt sich die beunruhigende Frage, ob unsere berufliche Ethik als Tiermediziner letztendlich genau so einfach korrumpierbar bzw. käuflich ist wie die einer Futtermittelfirma mit Attitüde.
Die Marktstrategen der Pet Divisions von Nestlé, Mars und Colgate haben sich schon seit geraumer Zeit Gedanken gemacht, an welchen Stellen der Wertschöpfungskette „Heimtiere“ man denn noch so seine klebrigen Fingerchen gewinnbringend reinstecken könnte. Und worauf ist man bei diesen Gedankenspielen gekommen? Na, ist doch sonnenklar: Was läge denn da näher als die Tiermedizin!
Tiermedizin ist zumindest in den Wohlstandsgesellschaften nach wie vor ein echter Wachstumsmarkt, der noch jede Menge Potenzial verspricht. Speziell Praxis- und Klinik-Ketten scheinen sich durch Synergie- und Konsolidierungseffekte für Großinvestoren so richtig zu rentieren. Weltweit (und seit einiger Zeit auch hier in Deutschland) können wir beobachten, wie sich solche Ketten formieren und ausbreiten. Wie in anderen Artikeln schon öfter berichtet, kann ich hier in der Umgebung von Ulm spezielle Fälle eigentlich nur noch an Kliniken überweisen, die entweder zu AniCura oder zu Evidensia gehören. Für die hinter den Ketten stehenden Investoren geht es dabei nicht mal ansatzweise um Tiermedizin oder gar um das Wohl Ihrer Vierbeiner, sondern um das Erreichen von möglichst starken Marktpositionen. Denn was dann letztendlich passiert und worauf diese Investoren glühend hoffen, zeigt sich nun gerade in den USA: Die Multis treten auf den Plan, auch hier wieder mit den Taschen voller Geld, und schnappen sich die am besten positionierten Ketten mit einem schnellen, entschlossenen Happs.
Im Jahr 2007 kaufte Mars die größte US-amerikanische Klinikkette Banfield Pet Hospital, 2015 dann BluePearl Veterinary Partners mit Klinikstandorten in 21 Bundesstaaten. Anfang dieses Jahres legte Mars 9,1 Milliarden Dollar für die VCA-Kette mit über 800 Klinikstandorten und der Laborkette Antech (60 tiermedizinische Labore) auf den Tisch. Damit ist Mars nun nicht mehr nur der größte Heimtierfutter-Hersteller, sondern gleichzeitig auch der größte Tierklinik- und Tierarztpraxen-Betreiber der Welt mit etwa 1800 Standorten! Auf eine ähnliche Entwicklung können wir hier in Europa nur warten, denn eigentlich ist das – zumindest aus Sicht der Multis – nur logisch. Tiermedizin an sich ist schon ganz ordentlich gewinnträchtig, wenn man genug betriebswirtschaftlichen Sachverstand mitbringt. Dazu kommen die durch zentrales Management, gebündelten Wareneinkauf und stromlinienförmige Personalpolitik zu erzielenden Synergieeffekte. Und als Sahnehäubchen obendrauf natürlich auch noch die Tatsache, dass man als monströs großer Tierfutterhersteller auf einmal Tausende von Tierärzten unter der Fuchtel hat, die von den Tierbesitzern vertrauensvoll nach Ernährungstipps gefragt werden.
Wir Tierärzte haben eine berufsständische Ethik. Sie mag nicht so komplex sein wie in der Humanmedizin, aber wir haben definitiv einen Kodex ethisch korrekten tiermedizinischen Verhaltens. Wie alle Mediziner interagieren wir mit Patienten, die uns aufgrund unseres Spezialistenwissens letztendlich annähernd hilflos ausgeliefert sind. Demzufolge muss – wenn auch eine robuste Gewinnerzielungsabsicht keineswegs verwerflich ist – in der Medizin immer Ethik vor Profit stehen. Und deshalb muss die Frage erlaubt sein, was wohl mit so einem Kodex passiert, wenn – wie in den USA bereits geschehen – ein großer Teil des Berufsstandes von einem maximal auf Profit getrimmten, multinationalen Unternehmen umgepflügt wird, einem der größten Familienunternehmen der Welt, einem Unternehmen, das unter anderem dem Motto folgt „Wir brauchen Freiheit, um unsere Zukunft gestalten zu können; wir brauchen Profit, um frei zu bleiben!“. Was passiert unter der Regie eines solchen, nur den eigenen und ausschließlich gewinnorientierten Prinzipien verpflichteten Managements mit einem Praxis- oder Klinikchef, der (ethisch korrekt) nur so viele Röntgenaufnahmen wie medizinisch nötig anordnet, aber deutlich weniger als andere vergleichbare Praxen oder Kliniken? Was für Konsequenzen hat eine Kollegin oder ein Kollege in diesen 1800 zu Mars gehörenden Praxen und Kliniken zu befürchten, wenn er einem kranken Tier nach bestem Wissen und Gewissen ein Diätfuttermittel der Konkurrenz oder etwas Selbstgekochtes verordnet? Bekommt man einen Anschiss, eine Abmahnung oder die Kündigung, wenn man nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft in deutlich längeren Abständen als jährlich impft? Mir würden noch viele solche Fragestellungen einfallen, aber mir wird dabei nur immer noch flauer im Magen.
Bisher scheint sich die Ausbreitung der Praxis- und Klinikketten ein Deutschland nicht in der hohen Geschwindigkeit und mit dem durchschlagenden Erfolg wie in anderen Ländern zu vollziehen. Es mag sein, dass das weltweit gerühmte mittelständische Unternehmerdenken und das Kundenverhalten der Deutschen doch ein wenig anders sind als erwartet. Trotzdem und weder zum ersten noch zum letzten Mal: Wenn Sie als Tierbesitzer sich einer solchen, in meinen Augen verhängnisvollen Entwicklung mit Fug und Recht entgegenstemmen wollen, dann müssen Sie Ihre inhabergeführte, kleine oder mittelgroße Haustierarztpraxis durch Ihre Kundentreue unterstützen und dürfen nicht wegen jeder Routinesache in die nächste Kettenklinik springen, weil Sie vielleicht denken, dass die dort nicht mit Wasser kochen. Ich schwöre Ihnen: Wenn am Ende, in ein paar Jahren, der Inhaber dieser Klinik nicht mehr AniCura, sondern Nestlé heißt, und Sie außer ein paar kruschtligen Nebenerwerbspraxen keine unabhängige Anlaufstelle mehr finden, wird es Ihnen leid tun, denn dann werden Sie in dem ewigen Misstrauen leben müssen, dass nicht mehr in erster Linie tiermedizinische Ethik, sondern ausschließlich der Profit das Handeln ihrer Tierärzte bestimmt.
Am Ende wird es darauf ankommen, dass möglichst viele Inhaber erfolgreicher Praxen und Kliniken Nachfolger(innen) finden, die ihnen für ihre mit viel Schweiß aufgebauten Betriebe eine gewisse Ablösesumme zahlen. Das werden diese jungen Kolleginnen und Kollegen aber nur dann tun, wenn sie halbwegs darauf vertrauen können, dass sich dieses nicht unbeträchtliche unternehmerische Risiko auch auszahlen wird, weil die deutschen Kunden ihren Haustierarztpraxen treu bleiben und Kettenbetriebe eher meiden. Finden sich keine Nachfolger(innen), weil alle die Hosen voll haben, werden viele von uns gegen Ende ihrer Laufbahn schwach werden müssen (nicht wollen!), wenn eine Kette ein Angebot machen sollte, das man dann nicht ablehnen kann. Da kann sich keiner ein hohes Ross leisten, denn es geht dabei immer um ein paar Hunderttausend Euro, und ob man die für die Altersversorgung hat oder nicht, ist durchaus eine gewichtige Frage. Wie schon Brecht bemerkte: Erst kommt das Fressen, dann die Moral!
In diesem Sinne: Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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