Von Ralph Rückert, Tierarzt
Heute beginnen wir mit einer mehrteiligen Artikelserie über das schwierigste Thema in der Tiermedizin, die Euthanasie. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus „eu“ für „gut“ und „thanatos“ für „Tod“, bedeutet also „der gute Tod“. Wir Tiermediziner bezeichnen den Vorgang etwas sachlicher und ungeschönter auch als „schmerzlose Tötung“. Wir finden, dass jeder Tierhalter sich mit diesem Thema frühzeitig auseinandersetzen sollte, denn auch ein noch junges Tier kann durch Unfall oder schwere Erkrankung so zu Schaden kommen, dass ein Weiterleben ohne schwerstes Leid nicht mehr möglich ist.
Gleich zu Anfang eine Anmerkung: Durch einen Kommentar in einer Facebook-Diskussion wurde ich darauf aufmerksam, dass Leser an dem für uns Tierärzte völlig alltäglichen Ausdruck „Euthanasie“ im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte Anstoß nehmen könnten. Ich werde die Bezeichnung trotzdem weiter verwenden, weil sie im Sinne der oben erwähnten Übersetzung aus dem Altgriechischen nun mal am besten zum Ausdruck bringt, was gemeint ist. Das Wort „Autobahn“ ist ja schließlich trotz starker Assoziationen zum Dritten Reich nach wie vor im allgemeinen Sprachgebrauch.
Verschiedenen Forsa- und Emnid-Umfragen zufolge wünschen sich etwa drei Viertel der deutschen Bevölkerung im Falle von unerträglicher Krankheit ohne Hoffnung auf Besserung die Option einer ärztlich assistierten Selbsttötung. Die Bundesärztekammer weist die Erfüllung dieses Wunsches routinemäßig weit von sich. Für die Humanmedizin bleibt die Diskussion also offen, und es wird sicher noch lange dauern, bis diesbezüglich ein gesellschaftlicher Konsens erzielt wird.
In der Tiermedizin läuft es – wie allgemein bekannt – genau entgegengesetzt: Wir, also Tiermediziner und Tierhalter, sind durch das Tierschutzgesetz geradezu verpflichtet, Tiere in schweren und ausweglosen Leidenssituationen durch die Euthanasie zu erlösen. Wir haben also die Möglichkeit und die Verpflichtung, dem schwerst leidenden Tier eine Art „Notausgang“ zu bieten, der ihm die Agonie (Todesqual) erspart. Auf die nicht unkomplizierten gesetzlichen Rahmenbedingungen und die ethischen Probleme einer Tiereuthanasie werden wir in einem gesonderten Artikel genauer eingehen.
Zuerst möchten wir Ihnen darstellen, was bei einer schmerzlosen Tötung eigentlich geschieht. Wir können Ihnen sicher nicht die Angst vor diesem immer sehr schmerzhaften Ereignis nehmen, aber vielleicht können wir Sie ein wenig darauf vorbereiten, also wenigstens die Angst vor dem Unbekannten verringern.
Einschläferungen teile ich in drei Kategorien ein: Spontan, „Carte blanche“ und geplant.
– Spontan nennen wir eine Euthanasie, die unmittelbar durch einen plötzlich auftretenden körperlichen Schaden (z.B. einen Unfall) erzwungen wird. In so einem Fall haben wir wenig bis gar keinen gestaltenden Einfluss auf die äußeren Umstände. Man kann nur hoffen, nie eine solche Situation erleben zu müssen; planen kann man dafür nichts.
– Mit einer Carte-Blanche-Euthanasie bezeichnen wir die Situation, die eintreten kann, wenn wir einen Patienten mit ungewisser Prognose operieren und während der Operation erkennen müssen, dass das Tier (zum Beispiel wegen eines Tumorleidens) nicht zu retten ist. Es wäre natürlich eine Zumutung, so einen Patienten aus der Narkose erwachen zu lassen, um ihn dann wenig später einschläfern zu müssen. Hier brauchen wir „Carte blanche“, also Ihre im Vertrauen auf unsere Einschätzung gegebene Handlungsvollmacht für eine Euthanasie „in tabula“, auf dem Operationstisch.
– Einschläferungen, die wegen der allmählichen Verschlechterung einer unheilbaren Erkrankung oder aufgrund fortschreitender Alterserscheinungen notwendig werden, sind dagegen fast immer planbar. Das wird nicht immer als Vorteil empfunden, weil Sie als Tierhalter in diesen Fällen dazu gezwungen sind, eine Entscheidung bezüglich des richtigen Zeitpunktes zu fällen. Dabei sind wir Ihnen natürlich behilflich. Einfach ist das leider trotzdem nicht. Bei einer geplanten Euthanasie werden wir immer bemüht sein, Ihnen einen Termin zu geben, der am Ende oder sogar außerhalb unserer Sprechzeiten liegt. Damit ist gewährleistet, dass wir nicht unter Zeitdruck geraten und der gesamte Vorgang so ungestört wie möglich ablaufen kann.
Eine Euthanasie ist in vielen Fällen auch für uns eine traurige Tätigkeit, zum Beispiel bei langjährigen Patienten. Trotzdem werden wir uns sehr bemühen, dies Ihrem Tier gegenüber so wenig wie möglich zu erkennen zu geben, uns also so normal wie immer zu verhalten. Viele Patienten haben über die Jahre einige Narkosen von uns erhalten. Die dafür übliche Vorgehensweise, die das betreffende Tier also meist schon kennt, versuchen wir auch bei der Euthanasie einzuhalten. Sie können uns dabei unterstützen, indem Sie Ihre Emotionen so lange unter Kontrolle halten, bis Ihr Tier eingeschlafen ist.
Nicht wenige von Ihnen denken sicher auch daran, ihr Tier zu Hause einschläfern zu lassen. Das ist für uns durchaus nachvollziehbar, weshalb wir dies auf Wunsch auch anbieten, aber nicht in allen Fällen ist das eine gute Idee. Uns als Menschen gehen dabei natürlich Schlagworte wie „Sterben in vertrauter Umgebung“ durch den Kopf. Für die Tiere sieht das unter Umständen ganz anders aus: Die oft mit mehr oder weniger unangenehmen Situationen, aber bis dahin auch mit dem Ort der Praxis untrennbar verknüpfte Figur des Tierarztes taucht in ihrem vermeintlich sicheren Zuhause, in ihrem Revier auf. Die Bezugspersonen sind für das Tier deutlich spürbar gestresst bis zum Anschlag und lassen im häuslichen Umfeld leider auch ihren Emotionen deutlich mehr freien Lauf als in der Praxis. Das alles führt manchmal zu völlig unerwarteten Angstreaktionen, was bei Hauseuthanasien große Probleme bereiten kann. Dazu gesellen sich oft noch grenzwertig schlechte Arbeitsbedingungen wie schwache Beleuchtung, Legen eines venösen Zugangs im Hocken auf dem Boden und unzureichende Absicherung gegen aggressive Abwehrhandlungen des Patienten. Bei der Euthanasie in der Praxis dagegen befindet sich das Tier in einer zwar unangenehmen, aber von früheren Blutentnahmen oder Narkosen durchaus vertrauten Situation. Zudem können sich für die Besitzer nach einer Hauseuthanasie unerwartete und anhaltende emotionale Probleme ergeben, wenn das Trauma untrennbar mit dem eigenen Wohnzimmer und nicht mit unserem Sprechzimmer verknüpft wird. Kurz gesagt: Wir machen es, aber wir machen es aufgrund so einiger sehr negativer Erfahrungen immer mit einem etwas flauen Gefühl in der Magengrube. In vielen bzw. den meisten Fällen laufen Hauseuthanasien problemlos ab, aber wir haben auch schon halbe oder totale Katastrophen erlebt, die mir noch lange nachgegangen sind. Denken Sie also bitte eingehend darüber nach, wem genau Sie mit einer Einschläferung zu Hause einen Gefallen tun wollen: Ihrem Tier oder nur sich selbst?
Das Medikament, das wir für Einschläferungen verwenden, ist Pentobarbital, 1916 von Bayer als Schlafmittel zum Patent angemeldet. Pentobarbital führt nach intravenöser oder intraperitonealer Gabe zuerst zum tiefen Narkoseschlaf und dann – durch die absichtliche Überdosierung – zum Atem- und Herzstillstand. Das in Tierbesitzer-Kreisen berüchtigte Euthanasie-Medikament T61 wird übrigens in unserer Praxis nicht verwendet.
Bei Hunden werden wir in der Regel einen venösen Zugang (Venenkatheter) legen und dann durch diesen das Medikament injizieren. Durch die intravenöse Verabreichung kommt es innerhalb von Sekunden zum Bewusstseinsverlust und kurz darauf zum Tod. Sehr ängstliche oder abwehrbereite Hunde müssen eventuell vor dem Legen des Venenkatheters eine Beruhigungsspritze bekommen. Es wird niemand gegen seinen Willen dazu gezwungen, aber speziell Hundehalter bitten wir sehr darum, ihr Tier auf diesem Weg nicht allein zu lassen.
Bei Katzen ist die Art der Verabreichung dem jeweiligen Tier angepasst. Bei ruhigen und friedfertigen Katzen wählen wir ebenfalls den Weg über eine Vene, bei streitbaren und abwehraggressiven Tieren injizieren wir das Pentobarbital nach dem Wirkungseintritt einer vorgeschalteten und intramuskulär verabreichten Narkose in das Herz (intracardial) oder in die Bauchhöhle (intraperitoneal). Nach intraperitonealer Injektion ist der Wirkungseintritt meist deutlich langsamer. Bis zum Eintritt des Todes können durchaus mehrere Minuten vergehen. Katzenbesitzer können in dieser Zeit ihr Tier gerne auf dem Schoß oder auf dem Arm halten. Katzen sind insgesamt etwas weniger auf die Anwesenheit ihres Besitzers angewiesen als Hunde.
Bei Kaninchen und kleinen Nagern wird das Pentobarbital ebenfalls – nach vorhergehender Narkose – intraperitoneal verabreicht.
Nachdem der Eintritt des Todes festgestellt worden ist, dämpfen wir das Licht im Sprechzimmer und geben Ihnen gerne noch genügend Zeit zum endgültigen Abschiednehmen. Danach muss – wenn noch nicht geschehen – geklärt werden, wie mit dem Körper Ihres Tieres weiter verfahren wird. Bei einer geplanten Euthanasie ist es sicher sinnvoll, sich diesbezüglich von uns schon vorab beraten zu lassen.
Wird fortgesetzt!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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