Von Ralph Rückert, Tierarzt
Es gilt als mehr oder weniger sicher, dass die Gebührenordnungen der Freien Berufe in Deutschland in absehbarer Zeit den Deregulationsbemühungen der Europäischen Union zum Opfer fallen werden. Durch den Brexit hat sich die Lage diesbezüglich erst mal wieder etwas entspannt, denn die Briten waren die Hauptantreiber der Deregulation. Jetzt gibt es erstmal eine pauschale 12-prozentige (und deshalb entschieden zu niedrige!) Anhebung der Gebühren. So wurde es gestern vom Bundesrat beschlossen. Die Neuregelung wird am 27. Juli 2017 in Kraft treten.
Diesen Gebührensprung werden nicht alle Tierbesitzer gleichermaßen zu spüren bekommen. Auf den ersten Blick vielleicht verblüffend, wird es vor allem die Kunden treffen, die Billig-Praxen frequentieren. Um zu erklären, warum das so ist, muss man etwas weiter ausholen. Zur Erinnerung: Die von der Bundesregierung als Verordnung beschlossene Gebührenordnung gibt für alle möglichen tiermedizinischen Leistungen einen Gebührenrahmen vor. Die untere Grenze, deren Unterschreitung nicht erlaubt ist, wird als einfacher oder 1,0facher Satz bezeichnet. Die Obergrenze, deren Überschreitung eine schriftliche Vereinbarung mit dem Kunden voraussetzt, ist der dreifache oder 3,0fache Satz. Innerhalb dieses Rahmens hat der Tierarzt die Gebühren für jede einzelne Leistung „nach billigem Ermessen“ festzulegen. Um ein kleines Beispiel zu nennen: Eine subkutane Injektion kostet nach der aktuellen GOT zwischen 5,15 Euro (1,0facher Satz) und 15,45 Euro (3,0facher Satz).
Wie legt man nun als Praxisinhaber(in) seine Gebühren innerhalb dieses gesetzlich vorgegebenen Rahmens fest? Dazu gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten:
1. Den komplizierten, aber unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten besten Weg: Es werden alle zugrundeliegenden Faktoren wie Kosten (Personal, Räumlichkeiten, Verbrauchsmaterialien, Medikamente, Energie, Versicherungen, Wartungsverträge, etc.), Investitionen und ihre Amortisation (Praxistechnik, Geräte, Räumlichkeiten, usw.), persönliche Vorsorge (Kranken- und Pflegeversicherung, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, Altersrückstellungen, etc.) und das Geschäftsführergehalt ermittelt bzw. festgelegt. Unter Berücksichtigung der Auslastung der Praxis kann man so recht präzise berechnen, wie hoch die Gebühren für einzelne Tätigkeiten angesetzt werden müssen. Praxen und Kliniken, die ihre Gebührenstruktur auf diese Weise festlegen, werden von den Kunden in der Regel als vergleichsweise teuer wahrgenommen, sind aber fast ausnahmslos betriebswirtschaftlich gesund und können dementsprechend ihr Personal vernünftig und motivationsfördernd bezahlen und regelmäßig in neue Technik, Ambiente, Kundenkomfort und (ganz wichtig!) teure Fortbildung investieren.
2. Weniger betriebswirtschaftliche Kenntnisse setzt es voraus, wenn man einfach hergeht und mit einem scharfen Auge auf die Preissteigerungsrate und andere steigende Kosten jährlich seine Gebühren um einen gewissen Prozentsatz anhebt. Eine halbwegs vernünftig geführte Praxis kann zum jetzigen Zeitpunkt, acht Jahre nach der letzten GOT-Anpassung, wohl kaum mehr unterhalb des 1,6fachen Satzes abrechnen. Da wir im Studium nicht eine Stunde Betriebswirtschaft lernen, werden wohl sehr viele von uns auf diese Weise vorgehen, um zu vermeiden, von den steigenden Kosten aufgefressen zu werden. Praxen und Kliniken, die diesen wenigstens halbwegs vernünftigen Weg gehen, sind aus Sicht des Kunden im Mittelpreissegment zu verorten und betriebswirtschaftlich mal mehr, mal weniger gesund.
3. Ein unerfreulich hoher Anteil der Praxen (30 – 50 Prozent?) hat außer möglichst niedrigen Gebühren keine weiteren Marketing-Argumente für sich ins Feld zu führen. Wir wissen aus statistischen Auswertungen ganz offiziell, dass ein gutes Drittel aller Praxisinhaberinnen ein Brutto-Einkommen von unter 2500 Euro pro Monat generiert. Oops, was war das denn gerade? Das war doch jetzt nicht geschlechtsneutral! Ja, richtig: Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass wir – aus Gründen, die wir vielleicht mal in einem anderen Artikel diskutieren können – in diesem Bereich zwar nicht ausnahmslos, aber leider vorwiegend von weiblich geführten Praxen reden. Solche Praxen bleiben während der gesamten Gültigkeitsdauer einer GOT-Version am untersten (dem 1,0fachen Satz) kleben, weil sie panische Angst davor haben (müssen?), dass ihnen sonst die Kunden weglaufen. Das ist offensichtlicher betriebswirtschaftlicher Irrsinn, der spätestens dadurch zum Ausdruck kommt, dass eine in Vollzeit angestellte Tiermedizinische Fachangestellte netto mehr verdient als ihre Chefin. Praxen, die sich so verhalten, werden von den Kunden natürlich als billig eingestuft. Was da für Fortbildung und Investitionen übrig bleibt, kann sich ja jeder denken, nehme ich an.
Die unter den Punkten 1 und 2 aufgeführten tiermedizinischen Einrichtungen haben bei einer GOT-Anpassung keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, da sie sich selbst bei einer 20prozentigen Steigerung noch gut im vorgegebenen Rahmen befinden und auch keine betriebswirtschaftlichen Gründe für hektische Preissteigerungen haben. Die gewinnen durch die Anpassung nur mehr Luft nach oben, fahren aber einfach weiter ihren Kurs, und ihre Kunden werden dementsprechend die sich nun ankündigende Gebührenanhebung nicht als schockartige Verteuerung wahrnehmen.
Im Gegensatz dazu befinden sich die unter Punkt 3 genannten Praxen bereits die ganze Zeit am unteren (und legal nicht zu unterschreitenden) Rand der GOT, der nun von einem Tag auf den anderen ein gutes Stück nach oben schnellen wird. Und da müssen sie dann mit, wenn kein juristischer Ärger riskiert werden will. Viele Inhaber(innen) von Discount-Praxen sind ja heilfroh, wenn sie nach Jahren stagnierender Gewinne jetzt endlich, mit dem Finger auf die neue GOT zeigend, sagen können: „Ich war die ganze Zeit so billig wie erlaubt, lieber Kunde, aber jetzt wird mir gesetzlich vorgeschrieben, teurer zu werden. Ich kann nix dafür!“. Deshalb werden – wie einführend erwähnt – speziell die Kunden im Billigsegment diesen Preissprung schmerzlich zu spüren bekommen.
Wie wird es die nächsten Jahre weiter gehen? Ich habe schon in mehreren Artikeln die Tatsache erwähnt, dass Deutschland – trotz des so beliebten Heulens und Zähneklapperns vieler Tierhalter – unter den superreichen Industrienationen als absolutes tiermedizinisches Billigland gilt. Die hiesigen Behandlungsgebühren liegen allenfalls bei der Hälfte, in vielen Fällen sogar nur bei einem Drittel der beispielsweise in Skandinavien oder Großbritannien üblichen Kosten für tiermedizinische Versorgung. Dies hat die Aufmerksamkeit internationaler Großinvestoren erregt, die nun in Form von Klinik- und Praxisketten wie AniCura und Evidensia damit beginnen, sich eine möglichst beherrschende Markposition im Hochqualitätsbereich zu erarbeiten. Ist – wie in der Umgebung von Ulm bereits jetzt der Fall – eine regionale Marktdominanz erreicht, werden über kurz oder lang die Preise anziehen. Im Gegensatz zu uns in dieser Hinsicht oft gefährlich naiven und unter dem Helfersyndrom leidenden Tiermedizinern muss den international agierenden Investoren, die hinter den Ketten stehen, sicher keiner gewinnorientiertes Denken beibringen.
Parallel zu dieser Entwicklung wird über kurz oder lang die GOT (und damit der bisher gesetzlich vorgegebene Gebührenrahmen) wegfallen. Was dann passieren wird, kann man am Beispiel der Niederlande studieren, wo dies schon vor Jahren so geschehen ist: Dort kam es anfangs zu wüsten Unterbietungsschlachten im Billigsegment, denen nach kürzester Zeit viele schon vorher kaum rentable Discount-Praxen zum Opfer gefallen sind. Nach dieser Marktbereinigung stieg das allgemeine Gebührenniveau steil an und ist jetzt deutlich höher als zu Zeiten der staatlich verordneten Regulierung.
Für das kommende Jahrzehnt sehe ich also – zumindest im Qualitätsbereich – deutlich steigende Behandlungsgebühren und ein großes Sterben von an der unteren Rentabilitätsgrenze arbeitenden Billigpraxen. Es wird sich – wie in anderen Lebensbereichen auch – eine Schere öffnen zwischen Arm und Reich. Das Hobby Tierhaltung wird definitiv deutlich teurer werden. Breit aufgestellte Haustierarztpraxen (mit mehr Medizintechnik und weit mehr Service als die durchschnittliche Humanarztpraxis) werden für die breite Versorgung zuständig sein und – wenn nötig – an hochspezialisierte und meist zu Ketten gehörende Großkliniken überweisen.
Für Sie als Tierbesitzer sind aus meiner Sicht zwei Überlegungen angesagt: Zum einen werden Sie die bittere Pille schlucken müssen, dass die „guten“ Zeiten langsam zu Ende gehen, in denen der Kunde auf fast jede Praxis einen immensen Preisdruck ausüben und sie damit zwingen konnte, am Existenzminimum zu agieren. Ich begrüße das, denn ich habe mitansehen müssen, wie sich viele meiner Studienkolleginnen und -kollegen in dieser Knochenmühle physisch und psychisch ruiniert haben. Die vielen jungen Frauen (fast 90 Prozent jedes Studienjahrgangs sind weiblich) von heute, die den immens harten und entbehrungsreichen Weg durch das Studium und die Sklavenarbeit der Assistenzzeit (Wochenarbeitszeit meist über 50 Stunden, bei einem Drittel mit einer Bezahlung unter Mindestlohnniveau!) überstanden haben, wollen entweder erst gar nicht die unternehmerische Verantwortung der selbständigen Praxistätigkeit auf sich laden oder aber lassen sich von Geiz-ist-geil-Kunden nicht mehr so leicht in die Ecke drücken. Praxisneugründungen gehen zurück und wenig rentable Praxen finden keine Nachfolger(innen) mehr. Die Marktbereinigung hat bereits begonnen und wird sich durch die erläuterten Entwicklungen noch beschleunigen.
Daraus ergibt sich die zweite Überlegung: Wenn Ihnen die Aussicht auf deutlich steigende Tierarztkosten aufgrund Ihrer eigenen finanziellen Situation Angst macht, dann sollten Sie sinnvollerweise schon jetzt anfangen, über das Thema Tierkrankenversicherung nachzudenken. Ich könnte mir vorstellen, dass Altkunden gewisse Vorteile genießen werden, wenn auch in diesem Bereich die Preise unweigerlich anziehen. Unter welchen Umständen eine TKV absolut Sinn macht, habe ich ja schon mal in einem anderen Artikel erläutert.
Warum habe ich in der Einleitung die Erhöhung der Gebühren um 12 Prozent als zu niedrig bezeichnet? Näheres dazu finden Sie in diesem Artikel auf Wir-sind-Tierarzt.de.
Ein abschließendes Wort an meine eigenen geschätzten Kunden: Da meine Praxis unter den oben geschilderten betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird, werden Sie die kommende GOT-Anhebung natürlich nicht als plötzlichen Preissprung wahrnehmen. Wir haben immer schon unsere Gebühren in regelmäßigen Abständen und für Sie fast unmerklich an die Kostensteigerung angepasst und haben deshalb keinen Grund für hektische Maßnahmen.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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