Von Ralph Rückert, Tierarzt
Eigentlich bin ich trotz meiner Blog-Schreiberei und vielfältiger Aktivitäten in den sozialen Medien außerhalb meiner beruflichen Tätigkeit ein eher verschlossener Mann. Gerade durch meinen Beruf bin ich daran gewöhnt, meine Gefühle nicht allzu sehr nach außen zu tragen.
Trotzdem – manchmal muss einfach was raus, und weil es durchaus von tiermedizinischem Belang ist, will ich heute von unserem Kater Geiri erzählen, den wir letzten Samstag im Alter von gerade mal 12 Jahren einschläfern mussten.
Kurz vor Weihnachten 2005 kam Geiri zu uns in die Praxis. Sein Bruder war in der Nacht zuvor an Katzenschnupfen gestorben, er selbst war todkrank und auf einem Auge schon mehr oder weniger erblindet. Seine Besitzerin wollte ihn nicht mehr, also haben wir ihn unter unsere Fittiche genommen. Durch intensive Behandlung ging es Geiri recht schnell besser, und wir alle waren fasziniert von dem enormen Lebenswillen und der ungebrochen guten Laune des kleinen Katers.
Kaum war die erste Krise gemeistert, bildete sich im Mittelohr ein infektionsbedingter Polyp, der zu üblen Gleichgewichtsstörungen und einer starken Kopfschiefhaltung führte. Aber selbst diese schwere Einschränkung und die dadurch notwendig werdende Operation nahm der Welpe hin, als ob nichts gewesen wäre.
Auf einem Auge blind und wohl schon damals einseitig taub, entwickelte sich Geiri in den nächsten Jahren zu einem Traumkater: In seinen besten Zeiten über 6,5 kg schwer, nur aus Muskeln, Sehnen und Knochen bestehend, ohne ein Gramm Fett zu viel auf den Rippen, war er für uns Menschen ein echter Clown mit immer guter Laune, für fremde Katzen aber wohl der Schrecken der Nachbarschaft. Er war es, den unsere anderen Katzen riefen, wenn ein Fremdling zu vertreiben war.
Mäuse hat er nie nach Hause gebracht, aber jede Menge Kratzer, Bisswunden und Narben. Aber selbst bei unangenehmen oder schmerzhaften Behandlungen hat er gegenüber uns Menschen nie auch nur die Andeutung einer aggressiven Handlung gezeigt. Besonders kennzeichnend für ihn war seine geradezu stoische Unerschrockenheit. Wenn vor diesem Kater ein Klavier auf die Straße gefallen wäre, hätte er es allenfalls neugierig beschnuppert und wäre dann weiter seiner Wege gegangen.
Knapp zehn schöne Jahre lang war alles soweit okay, zumindest in dem Rahmen, der für Katzen als normal gelten muss. Zwei, drei Zähne fielen der FORL zum Opfer, ein Zehen einer Wundinfektion, geschnarcht hat er wegen der Folgen seiner Schnupfenerkrankung sein ganzes Leben wie ein Holzfäller, aber ansonsten hatte er – möchten wir zumindest glauben – ein wirklich schönes Leben.
Vor zwei Jahren schlug das Schicksal erneut zu, wieder als Folge der Infektion in Kindertagen. Von einem Tag auf den anderen litt Geiri wieder unter Kopfschiefhaltung, Gleichgewichtsstörungen und Nystagmus (Augenzittern), was ein CT und eine zweite Polypen-OP im anderen Mittelohr notwendig werden ließ. Nach dieser Operation, die er wie immer guten Mutes wegsteckte, war er leider stocktaub. Man konnte hinter seinem Rücken zwei Topfdeckel zusammen schlagen, ohne dass er davon etwas mitbekommen hätte. Viel angemerkt hat man ihm nicht, aber wir denken schon, dass dieser vollständige Gehörverlust eine schlimme Einschränkung für ihn bedeutet haben muss. Manchmal ist er arg erschrocken, wenn er unerwartet von hinten berührt wurde. Trotzdem blieb er weiterhin der unangefochtene Patriarch unserer Katzenbande und wurde für unseren Neuzugang Maisie ein echter väterlicher Freund.
Letzte Woche dann stellte ich bei einem Blick in sein Gesicht entsetzt fest, dass die Pupille seines noch sehfähigen Auges maximal und lichtstarr erweitert war. Trotz der sofortigen Konsultation eines auf Augenkrankheiten spezialisierten Kollegen und fleißiger Medikamentenanwendung mussten wir am Samstagmorgen schweren Herzens erkennen, dass Geiri nun nicht mehr nur taub, sondern auch vollständig erblindet war.
Schachmatt!
Eine Stunde später haben wir ihn auf seinem Lieblingssessel einschlafen lassen. Mich hat schon lang nichts mehr so traurig gemacht. Ein wenig netter hätte es das Schicksal schon meinen können mit unserem immer so positiven, mutigen und lustigen Kater! Ein Auge, nur ein Auge, hätte es ihm doch verdammt nochmal lassen können bis ans natürliche Ende seines nicht gerade leichten, aber von ihm so offensichtlich geliebten Lebens!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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