Von Ralph Rückert, Tierarzt
Neulich in der lokalen Facebook-Hundegruppe: Ein Gruppenmitglied fragt in die Runde, welche Hunderasse man für ein Ehepaar Anfang 60 empfehlen könnte.
Einer der Kommentare: „Jemandem, der Anfang 60 ist, würde ich auf keinen Fall mehr einen Welpen geben. Ein Hund hat eine Lebenserwartung von 15 bis 18 Jahren. Wenn es dumm läuft werden die Leute in 10 Jahren krank, und dann landet ein alter Hund im TH.“
Ist man wie ich selbst gerade noch ein gutes Jahr von „Anfang 60“ entfernt, schwankt man bei so einem Kommentar mit seinem unverhohlenen Ageismus (neudeutsch für Altersdiskriminierung) zwischen Bitterkeit und blanker Wut.
Im Gegensatz zu dem, was so einige jüngere Menschen zu glauben scheinen, ist man mit Anfang 60 in der Regel durchaus noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und darüber hinaus meist besser zur kritischen Selbstreflexion in der Lage, als je zuvor in seinem Leben.
Ihr jüngeren Semester könnt mir glauben, dass sich keiner mehr seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ist als ein Mensch am Ende seiner mittleren Jahre. Hat man wie wir in diesem Alter einen Hund mit 8 Jahren, denkt man natürlich mehr als nur einmal – je nach Naturell mit nüchternem Realitätssinn oder mit einer gewissen Melancholie – darüber nach, dass nach diesem wohl nur noch ein weiterer Hund in die eigene Lebensspanne passen wird.
Aber – und diese Botschaft ist mir wichtig: Man denkt eben sehr wohl darüber nach! Wir Friedhofsgemüse können das durchaus noch. Nachdenken meine ich. Das müsst Ihr Jüngeren uns nicht abnehmen, vielen Dank! Genau genommen verbitten wir uns sogar, dass sich jemand allein aufgrund unseres Alters naseweis anmaßt, irgendwelche Entscheidungen für uns zu übernehmen.
Die Verfasserin des zitierten Kommentars ist in einer Tierschutzorganisation tätig, die Hunde in Not vermittelt. Sie hat also die begrenzte Macht, ihre zum Ausdruck gebrachten Vorbehalte gegenüber älteren Menschen als Hunde(welpen)besitzer auch in die Tat umzusetzen, solchen Menschen also die Vermittlung eines Welpen zu verweigern. Hat sie damit etwa recht?
Als Tierarzt mit dreißig Jahren Erfahrung konnte ich den Lebensverlauf sehr vieler Hunde beobachten, und ich sage: Nein, sie hat nicht recht! Sie liegt mit ihren Bedenken sogar völlig daneben und schränkt damit die Vermittlungschancen der von ihrer Organisation betreuten Hunde unnötig ein.
Dass ein Hund im Tierheim landet oder sonstwie abgegeben werden muss, kommt nach meiner Erfahrung viel, viel häufiger bei jüngeren als bei älteren Besitzern vor. Sicher, das Risiko einer Erkrankung oder gar des unerwarteten Hinscheidens nimmt mit dem Alter naturgemäß zu, aber das Leben ist halt auch für jüngere Menschen keineswegs so sicher berechenbar, wie sich so manche das gerne einbilden. Drastische Veränderungen der persönlichen Umstände wie Scheidung, Arbeitslosigkeit, Pleite oder gar plötzliche Erkrankung und Tod sind in jedem Lebensabschnitt möglich und für den doch recht langen Zeitraum eines Hundelebens allemal nicht sicher auszuschließen.
Jüngere Menschen, die über die Anschaffung eines Hundes sowieso viel spontaner entscheiden als ältere Semester, werden von solchen Umbrüchen meist sehr unerwartet getroffen und sind darauf in den seltensten Fällen wirklich vorbereitet. Die Gruftis dagegen haben nach meiner Erfahrung sehr häufig einen Plan B, eben weil sie aufgrund ihres Alters damit rechnen müssen, dass eventuell nicht immer alles rund läuft.
Und wenn kein solcher Plan B vorhanden ist und der Hund – zum Beispiel durch Versterben der Besitzerin / des Besitzers – doch im Tierheim bzw. der Vermittlung landet? So what? Dann ist das halt so! Dann ist der Hund von einer persönlichen Katastrophe getroffen worden und muss durch das hierzulande dankenswerterweise für solche Fälle vorgesehene Sicherheitsnetz aufgefangen werden. Das ist ein Risiko, das das Leben immer und zu jeder Zeit mit sich bringt, und da ist ein Hund nun mal nicht ausgenommen.
Die Verknüpfung von (falsch verstandenem!) Tierschutz und Altersdiskriminierung ist in meinen Augen ein durchaus wichtiges Thema. Ich kann gar nicht zählen, wie oft in meiner beruflichen Laufbahn ich mitbekommen habe, dass Tierschutzorganisationen und Tierheime, die sonst bei jeder Gelegenheit Zeter und Mordio schreien, dass sie ihre Tiere nicht schnell genug unterbringen könnten, mir persönlich bekannten und nach meinem Dafürhalten perfekt geeigneten Leuten eine Vermittlung verweigert haben, nur weil sie schon ein gewisses Alter überschritten hatten.
Ich halte das für grundfalsch und extrem bedauerlich, und zwar sowohl aus Sicht der zu vermittelnden Tiere, denen damit die Chance auf ein in Hundeaugen geradezu ideales Forever-Home genommen wird, als auch aus Sicht der jeweiligen Menschen, für die ein Hund in diesem Lebensabschnitt meist eine enorme Bereicherung darstellt. Der Hund kann sich über Menschen freuen, die Zeit für ihn und seine Bedürfnisse haben, deren Berufs- und Lebensplanung abgeschlossen ist und die oft in sehr berechenbaren und gesicherten Umständen leben, der Mensch kann sich über einen Kumpel freuen, der ihn schon mal sicher nicht wegen ein paar Falten und schmerzenden Gelenken schräg anschaut, der ihn zur täglichen maßvollen Bewegung animiert und der ihn nicht zuletzt auch geistig fordert und elastisch hält.
Deshalb sollten die Verantwortlichen der Tierschutz-Orgas sich meiner Meinung nach dringend hinter die Ohren schreiben, dass es ganz sicher nicht ihre Sache bzw. ihr Recht ist, sich den Kopf über die Angelegenheiten anderer Menschen zu zerbrechen, nur weil diese schon weiße Haare haben. Man kann gerne die gleichen Vermittlungsmaßstäbe wie bei allen anderen Leuten anwenden. Jemandem aber, der sich das wohl überlegt zutraut, nur aufgrund seines Alters keinen jungen Hund oder Welpen zu überlassen, ist anmaßend und fällt definitiv unter Altersdiskriminierung.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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