Von Ralph Rückert, Tierarzt
Über den Daumen gepeilt ernähren sich etwa 5 Prozent der Deutschen vegetarisch, maximal 1 Prozent vegan. Umfragen zufolge sollen die Gründe dafür eher im ethischen als im ernährungsphysiologischen Bereich zu finden sein. Wer sich vegetarisch bzw. vegan ernährt, möchte also vermeiden, dass er sich auf Kosten von Tieren ernährt, oder macht sich Gedanken um die globalen ökologischen und ökonomischen Auswirkungen des Fleischkonsums.
Ich denke nicht, dass das jemals systematisch untersucht worden ist, halte es aber für gut möglich, dass unter Hundehaltern, die ja in der Regel nicht nur Hunde-, sondern auch ganz allgemein Tierfreunde sind, der prozentuale Anteil von Vegetariern und Veganern eher noch etwas höher ist als in der Restbevölkerung. Dadurch entsteht natürlich eine etwas paradox anmutende Situation: Der ethisch motivierte Vegetarier oder Veganer lebt in engster Gemeinschaft mit einem zoologisch zur Ordnung der Carnivora (Raubtiere) gezählten Vierbeiner, der dementsprechend eine klare Vorliebe für Fleisch hat und darüber hinaus als Tier keine diesbezüglichen moralischen Skrupel hegen muss.
Es ist in meinen Augen nachvollziehbar, dass sich Veganern über kurz oder lang die Frage stellt, ob man nicht auch den eigenen Hund vegan ernähren könnte. Googelt man „Hundefutter vegan“, stellt man fest, dass es keinen Mangel an entsprechenden Futtermittelangeboten gibt.
Wird das Thema in Internetforen oder Facebook-Hundegruppen angesprochen, gestaltet sich die Diskussion regelmäßig und zuverlässig höchst hitzig. Entsprechend der oben erwähnten prozentualen Anteile eines vegetarischen oder veganen Lebensstils an der Gesamtbevölkerung weist eine überwältigende Anzahl der Diskussionsteilnehmer den Gedanken an eine vegane Ernährung von Hunden weit von sich, mit in der Regel sehr harschen Kommentaren. Es findet sich fast immer jemand, der den Versuch einer solchen Ernährung gar als anzeigewürdigen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz ansieht.
Ganz unrealistisch ist dieser Gedanke natürlich nicht, denn das Tierschutzgesetz fordert ausdrücklich eine artgerechte Haltung ein. Man könnte also durchaus den Standpunkt vertreten, dass die vegane Ernährung eines Karnivoren auf gar keinen Fall artgerecht sein kann. Ich persönlich sehe das eigentlich auch so, habe aber bewusst den Konjunktiv „könnte“ gewählt, denn das Kernproblem liegt in der Definition des oft recht leichtfertig verwendeten Begriffs „artgerecht“.
Definieren Sie doch mal jeder für sich „artgerechte Ernährung“ für eine Tierart, deren ökologische Nische die Koexistenz mit dem Menschen inklusive der Verwertung seiner Abfälle (bis hin zu seinem Kot) ist! Noch komplizierter wird es, wenn wir berücksichtigen, dass diese Spezies in ungefähr 500 Rassen aufgeteilt ist, die in ganz unterschiedlichen Regionen mit ebenso unterschiedlichen Ernährungsgegebenheiten entstanden sind.
So, wie es Menschen gibt, die aufgrund ihrer Herkunft aus einer bestimmten Region bzw. Klimazone gewisse Nahrungsmittel präferieren oder besser vertragen, gilt das auch für den Hund, der uns schließlich in alle Weltgegenden gefolgt ist. Einen Inuit kann man mit der für mexikanische Aztekenabkömmlinge passenden Nahrung ziemlich zügig ins Grab bringen, und umgekehrt. Fettärschige Amis überleben überraschend lang eine Ernährungsform, die einem Inder ein sehr schnelles Ende bescheren würde. Die gleiche Aussage kann man sinngemäß und beispielsweise auf einen Husky und einen Chihuahua anwenden. Deshalb helfen die bezüglich Ernährung (ob nun für Menschen oder für Hunde) kursierenden Dogmen in vielen Fällen einfach nicht weiter.
Anstatt nun den eigentlich von vornherein hoffnungslosen Versuch zu unternehmen, die „artgerechte“ Ernährung aller Haushunde über die Herkunft der Nahrungsmittel zu definieren, wird man sich wohl eher streng wissenschaftlich fragen müssen, wie viel Protein, wie viel Fett, wie viele Kohlenhydrate, wie viel Jod, wie viel … etc. pp. der Hund so im Schnitt mindestens braucht. Woher diese Nahrungsbestandteile dann stammen, ob nun aus Fleisch, aus Produkten der Tierhaltung wie Milch und Eiern, aus Insekten oder aus Pflanzen, wäre dann egal, wenn diese artgerechten Anforderungen erfüllt würden. Wenn alles drin ist, was ein Hund braucht, wäre demzufolge auch ein veganes Alleinfuttermittel als artgerecht anzusehen. Die Ernährungsphysiologen bestätigen uns, dass das durchaus möglich ist.
Wie in einem anderen Artikel erwähnt, bin ich schon aus ökologischen Gründen sehr dafür, dass nach gangbaren Alternativen zur übermäßig fleischlastigen Ernährung unserer Hobby-Hunde geforscht wird. Bis vor kurzem (historisch gesehen) wurden Hunde grundsätzlich mit dem ernährt, was wir Menschen übrig gelassen haben, prosaisch ausgedrückt also mit unseren Abfällen. In den hochentwickelten und im Überfluss lebenden Industriegesellschaften mit ihrer in meinen Augen fast schon närrisch anmutenden Vergötterung des Hobby-Hundes geht aber nun seit einiger Zeit der Trend um, dass Hunde maximal fleischlastig ernährt werden sollen. Diese Entwicklung geht darüber hinaus leider auch noch mit der empört-verächtlichen Ablehnung von „Abfällen“ als Bestandteil der Hundenahrung einher.
Machen wir uns bitte nichts vor: Die Produktion von Fleisch stellt ein globales ökologisches und ökonomisches Problem ersten Ranges dar! Riesige Waldflächen fallen Jahr für Jahr dem weltweiten Fleischhunger zum Opfer. Gewaltige Mengen klimaschädlicher Gase gehen auf das Konto der „Veredelung“ pflanzlicher landwirtschaftlicher Produkte zu Fleisch. Und dass Hunde nur das bekämen, was wir nicht wollen, dass also keine Tiere nur für Hunde geschlachtet würden, ist bei dem momentanen Fleischwahn in der Hundeernährung zur gewissensberuhigenden Illusion verkommen.
Wie in dem oben verlinkten Artikel erwähnt, verzehren allein die US-amerikanischen Hunde und Katzen sage und schreibe 25 Prozent der aus der dortigen Fleischproduktion stammenden Kalorien und wären – würden sie eine Nation bilden – der fünftgrößte Fleischkonsument der Welt! Die dadurch entstehenden klimaschädlichen Gase entsprechen der ganzjährigen Bewegung von 12 Millionen Kraftfahrzeugen.
Um der unbequemen Wahrheit direkt ins Auge zu sehen: Im Moment ist es nun mal leider so, dass irgendwann das halbe Amazonasbecken abgeholzt sein wird und dass irgendwo auf der Welt sogar Menschen sterben müssen, damit Bello auch ja mit Fleisch maximaler Qualität ernährt wird, und das ist in meinen Augen ein schwer erträglicher Gedanke.
Deshalb macht es – natürlich neben einer Umstellung unseres eigenen Lebensstils – sehr wohl Sinn, hartnäckig nach Möglichkeiten zu suchen, den Fleischanteil in der Hundeernährung so weit wie möglich herunter zu schrauben, ohne die ernährungsphysiologischen Anforderungen dieser Tierart zu verletzen. In letzter Konsequenz könnte das tatsächlich zu veganen Ernährungsformen führen. Wie gesagt: Gehen tut es, wie uns die Wissenschaft versichert.
Aber (ABER!!!): Beileibe nicht jedes momentan angebotene vegane Alleinfuttermittel enthält alles, was der Hund so braucht. Und eine vollwertige, vegane Ernährung für den Hund selbst zusammen zu stellen, könnt Ihr gleich wieder vergessen. Wie wir schon durch den Rohfütterungs-Hype der letzten Jahre wissen, passieren die dramatischsten Ernährungsfehler grundsätzlich immer dann, wenn Hundebesitzer die Sache ohne sachkundige Beratung selbst in die Hand zu nehmen versuchen.
Wenn populäre Medien wie der „Stern“ über das Thema schreiben, raten sie gern zur Konsultation eines Tierarztes. Das ist Quark und haut so nicht hin. Ich halte mich selber für einen sehr guten Haustierarzt, sähe mich aber fachlich absolut außerstande, eine vegane Hunderation auf Bedarfsgerechtigkeit abzuklopfen. Nein, da braucht man schon die Spezialisten unter uns, und die gibt es ja schließlich.
Fazit: Es ist nach meiner Meinung erst mal KEIN anzeigepflichtiger Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, seinen Hund vegan ernähren zu wollen. Aber gebt bei entsprechender Neigung den diesbezüglichen Forschungsbemühungen Zeit und macht nicht Eure eigenen Hunde zu Amateur-Versuchstieren und damit zu Opfern Eurer eigenen Weltanschauung. Was eine vegane Ernährung des Hundes angeht, gibt es nach meiner Erfahrung und Überzeugung noch so einige offene Messer, in die man mit Sicherheit läuft, wenn man da zu schnell vorprescht. Jüngstes Beispiel dafür wäre die aktuelle Warnmeldung der amerikanischen Lebensmittelbehörde FDA und der Universität Davis (Kalifornien) bezüglich betont getreidefreier Futtermittel mit hohem Anteil an Hülsenfrüchten und/oder Kartoffeln. Bei solcherart ernährten Hunden ist der Verdacht entstanden, dass dadurch das Auftreten einer schweren Herzerkrankung (DCM, dilatative Kardiomyopathie) gefördert werden könnte.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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