Von Ralph Rückert, Tierarzt
Am 25. Oktober 2019 hat der Tierschutz Sauerlach e.V. auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht, dass bei ihnen ein Aufnahmestop für Igel bestünde, weil alle Plätze belegt seien. Unter dieser Mitteilung werden auch noch Erste-Hilfe-Maßnahmen für Igel aufgeführt, die ich hier zitieren möchte:
„Igel warm halten (handwarme Wärmflasche oder PET Flasche beilegen). Evtl. Igel mit Pinzette von Zecken und Maden befreien. Wenn er warm genug ist, erst dann Katzennassfutter und Wasser anbieten, nicht vorher. Keinen Tierarzt aufsuchen (geben oft falsche Medikation). Igelnotnetzwerk kontaktieren!“
Das ist also der Rat eines eingetragenen Tierschutzvereins: „Keinen Tierarzt aufsuchen“! Nicht schlecht!
Irgendeine(r) von uns wird natürlich immer und eher früher als später auf sowas aufmerksam, und dann wird das natürlich auch in unseren berufsspezifischen Gruppen durchgehechelt. Ein Zitat aus so einer Diskussion:
„Kratzt zwar an meiner Ehre, kann aber eigentlich damit leben, dass nicht jede Parasitenschleuder bei mir angeschleppt wird und mir erzählt wird, ich hätte eh keine Ahnung – das ganze natürlich gegen kostenlose Erstversorgung…“
Und als direkte Antwort:
„…und an meiner Ehre geht das völlig vorbei. Wenn so ein Tierchen kommt helfe ich und ansonsten bin ich nicht traurig, wenn es Andere tun.“
Das bringt ganz gut auf den Punkt, wie auch ich über solche bedenklich fahrlässigen und für uns Tierärzte ehrenrührigen „Tipps“ denke. Spontan fühlt man sich zwar auf den Schlips getreten, denkt man aber kurz nach, geht es ganz schnell eher in die Richtung: „Ist ja alles prima! Dann braucht Ihr mich ja nicht mehr, und einen schönen Tag noch!“.
Der Mehrzahl von uns praktizierenden TiermedizinerInnen geht es wie mir: Wir wollen einem Wildtier in Not durchaus helfen, und sei es unter entsprechenden Umständen „nur“ durch Beendigung seiner Qualen. Sehr viele von uns machen das (unter direktem und bewusstem Verstoß gegen unsere Gebührenordnung, die das eigentlich untersagt) sogar kostenlos oder erheben nur einen kleinen Unkostenbeitrag, obwohl wir dazu im Gegensatz zum Anspruchsdenken so mancher Leute nicht mal ansatzweise verpflichtet sind. Und obwohl die sachkundige Behandlung von Igeln, Greifvögeln, Mauerseglern und anderen Wildtieren keineswegs zu unserem primären Tätigkeitsgebiet gehört und wir an der Hochschule auch nicht dafür ausgebildet wurden, haben sich doch viele von uns im Laufe ihres Berufslebens durch teure und sich naturgemäß niemals amortisierende Fortbildungen und Fachliteratur ausreichende bis profunde Kenntnisse zu diesem Thema angeeignet.
Im Gegensatz dazu steht das unglaublich fordernde bis geradezu dummdreiste Verhalten so mancher selbsternannter „Wildtier-RetterInnen“! Die Behandlung hat selbstredend (!) kostenlos zu sein („Sie sind schließlich Tierarzt und müssen das machen!“), dabei aber bitteschön fachlich auf dem allerhöchsten denkbaren Niveau. Dieses Niveau wird natürlich durch die immer und grundsätzlich alles besser wissenden „RetterInnen“ festgelegt und beurteilt. Ist man mit irgendeinem Detail der Behandlung oder Beratung nicht einverstanden, entblödet man sich nicht, wahlweise bei Staatsanwaltschaft und/oder der Tierärztekammer Anzeige zu erstatten, wie es vor Jahresfrist einem befreundeten Kollegen passiert ist.
Genau dieser Kollege, Inhaber einer ziemlich großen Praxis, hat inzwischen trotz entsprechender Fachkompetenz seine völlig nachvollziehbaren Konsequenzen gezogen und lehnt fürderhin jegliche Wildtierbehandlung ab. Das ist im Sinne einer eigentlich wünschenswerten tiermedizinischen Versorgung von Wildtiernotfällen ein sehr bedrohlicher und in der Tiermedizin aktuell um sich greifender Trend. Angestoßen wurde dieser Trend in meinen Augen fast ausschließlich durch das völlig abgehobene Verhalten und die wer weiß was für persönliche Defizite kompensierenden Profilneurosen mancher (und hoffentlich nicht zu vieler!) „WildtierretterInnen“.
Keinen Tierarzt aufsuchen? Was ist denn bei einer Erkrankung, einem Knochenbruch oder einer anderen Verletzung, für deren Diagnose und Therapie Methoden und Mittel nötig sind, die überhaupt nur Tierärzte anwenden können und dürfen? Was bleibt denn dann noch von diesem buchstäblich vernagelten Ratschlag? Wie wäre es denn mit Kooperation statt völlig unangemessener Konfrontation, letztendlich auf dem Rücken der Tiere, die man vorgibt, retten zu wollen?
Denkt man eigentlich als Tierschutzverein, wenn man mal schnell so einen „Tipp“ raushaut, auch an die vielen Igel, die qualvoll eingehen, weil irgendwelche Honks das für bare Münze nehmen und lieber tränenreich dem Tierchen beim Sterben zuschauen als zum „bösen und inkompetenten Tierarzt“ zu gehen? Diese Frage können wir gleich noch ausweiten auf völlig unnötigerweise gefangen genommene Vogel-Ästlinge, die dann mit ungeeignetem Futter zu Tode gebracht werden, oder auf vermeintlich verlassene kleine Feldhasen oder Rehkitze, „soo süüße“ Handaufzuchten, oft nicht zu retten, geschweige denn je wieder auszuwildern. Wie viel Leid und Tod wird durch völlig unsachkundige „TierretterInnen“ mit oft genug sogar rechtswidrigen Aktionen in Eigenregie verursacht, wo die einfache Konsultation einer sachkundigen Tierarztpraxis ausreichen würde, genau dieses zu verhindern?
Könnte man eventuell – wenn man beispielsweise einen Igel oder ein anderes Wildtier gefunden hat, das offenbar nicht bei bester Gesundheit ist – erst mal bei der Tierarztpraxis der Wahl anrufen und sich höflich erkundigen, ob die Kollegin / der Kollege sich dazu in der Lage fühlt, diese Tierart sachkundig zu behandeln? Könnte man im Falle einer Verneinung dies einfach dankbar als ehrliche Antwort akzeptieren, ohne (wie auch schon mehrfach passiert!) danach auf Google zu schreiben: „Voll die Flasche, der Tierarzt! Kennt sich nicht mit Igeln (Waschbären, Marderhunden, Greifvögeln, etc. pp.) aus!“?
Ich will gerne zugestehen, dass (inklusive meiner Person) nicht alle Tierärztinnen und Tierärzte die notwendige Kompetenz für JEDE denkbare Tierart und für JEDE denkbare Erkrankung aufweisen bzw. aufweisen können. Auf jeden Igel, der in meiner Praxis behandelt wird, kommen Hunderte bis Tausende Katzen, Hunde, Kaninchen und Meerschweinchen. Mit denen kenne ich mich wirklich aus, dort liegt meine Kernkompetenz. Dementsprechend sind die meisten von uns (wieder ich eingeschlossen) durchaus dankbar für hilfreiche Tipps und Hinweise. Allerdings – und das ist halt entscheidend wichtig – nur dann, wenn sie in angemessenem und höflichem Tonfall kommuniziert werden.
So schwer ist das nicht! Das klappt in vielen Praxen bisher ganz ordentlich bis sehr gut. Völlig kontraproduktiv aber sind a) das Verhalten mancher „RetterInnen“ und b) solche fahrlässigen Pauschalaussagen wie die oben zitierte des Tierschutzes Sauerlach e.V.! Deshalb meine Mahnung an diesen Personenkreis: Überspannt den Bogen nicht! Wir sind definitiv NICHT dazu verpflichtet, gefundene Wildtiere kostenlos zu behandeln! Sind wir nicht entsprechend aus- und fortgebildet, sind wir sogar ethisch dazu verpflichtet, solche Behandlungen abzulehnen! Trotzdem sind immer noch die meisten von uns bereit, sich für Wildtiernotfälle zu engagieren, aber sicher nur dann, wenn man hinterher nicht zum Dank eine reingewürgt bekommt. Ein einziger und als hochgradig unfair und unangenehm empfundener Zwischenfall wie bei dem oben erwähnten Kollegen reicht völlig aus, um ein solches (absolut freiwilliges!) Engagement für immer zu beenden. Und auch bezüglich der nassforschen Einlassung des Tierschutzes Sauerlach e.V. frage ich mich, wie viele Praxen und Kliniken, die bisher Igel behandelt haben, da jetzt sozusagen „verbrannt“ worden sind.
Wie man es besser und im Sinne der von mir angesprochenen Kooperation macht, zeigt beispielsweise ein Zitat, das ich auf der (hervorragend informativen) Website des BUND-Kreisverbandes Darmstadt gefunden habe:
„Verletzte Igel gehören sofort in tierärztliche Behandlung oder sofort in eine zugelassene (Adresse unten) Igelpflegestation. Viele Tierärzte behandeln Igel kostenlos, nur die Medikamente müssen bezahlt werden. Nur der Tierarzt kann die sachgerechte Behandlung durchführen. Bitte lassen Sie auch schwer verletzte Igel nicht liegen; der Tierarzt kann dem Tier stundenlange Schmerzen und Quälerei ersparen, wenn er es gleich erlöst. Auch kranke Igel gehören in tierärztliche Behandlung. Husten und Durchfall werden meistens durch Innenparasiten hervorgerufen, die abgetötet werden müssen. Ist zusätzlich eine Lungenentzündung eingetreten, muss antibiotisch behandelt werden. Gesunde Igel sind ziemlich rund und warm und schlafen tagsüber. Kranke Igel sind kalt, schmal oder haben die typische Hungerfalte hinter dem Kopf und eine birnenförmige Figur, sie laufen tagsüber unruhig herum.“
Eine Aktualisierung, zwei Tage nach Veröffentlichung dieses Artikels:
Der Tierschutz Sauerlach e.V. hat die von mir kritisierte Textpassage geändert. Sie liest sich jetzt folgendermaßen:
„Bitte nur Igelkundige Tierärzte aufsuchen, wzB. Dr. Kaiser Tierklinik Haar.“
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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