Von Ralph Rückert, Tierarzt
Am 20. Dezember hat – wie erwartet – der Bundesrat die Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) mit besonderer Berücksichtigung der Gebühren im Notdienst geändert. Gestern, am Donnerstag, den 13. Februar 2020, wurden die Änderungen im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und sind damit ab heute in Kraft. Sollten Sie mit ihrem Tier dieses Wochenende den Notdienst benötigen, gehören Sie zu den ersten Kunden, die von dieser Änderung betroffen sein werden.
Der Kern der Änderung in einem Satz: Nehmen Sie in Zukunft tiermedizinische Notdienstleistungen in Anspruch, werden Ihnen erstens eine Notdienstpauschale (sogenannte Türöffnungs- oder Handshake-Gebühr) von 50 Euro (plus Mehrwertsteuer!) und zweitens ein deutlich erhöhter Gebührenrahmen für die erbrachten Leistungen (plus Mehrwertsteuer!) berechnet.
Etwas detaillierter:
– Einführung einer verpflichtenden Notdienstpauschale von 50 Euro. Diese ist völlig unabhängig von der Art des Tieres oder des Notfalls, gilt also gleichermaßen für Wellensittich oder Dogge, für einen festsitzenden Zeckenkopf oder eine Magendrehung. Kommen Sie allerdings beispielsweise mit Ihren zwei Hunden zum Notdienst, weil beide Giftköder gefressen haben, werden diese 50 Euro nur einmal fällig.
– Der zulässige Gebührenrahmen für die erbrachten Leistungen wird insgesamt deutlich nach oben verschoben. Ich gehe mal davon aus, dass bisher im Notdienst durchschnittlich so um den 2,0fachen Satz abgerechnet wurde. Dieser 2,0fache Satz wird nun durch die beschlossene Änderung zum verpflichtenden Mindestsatz, während der Höchstsatz vom 3,0fachen auf den 4,0fachen angehoben wird.
– Der Zeitrahmen für die Erbringung von Notdienstleistungen wird deutlich erweitert. Als Notdienstzeiten gelten nun: Wochentags von 18 bis 8 Uhr, Wochenende von Freitag, 18 Uhr, bis Montag, 8 Uhr, und Feiertage von 0 bis 24 Uhr.
– Außerdem wurde noch das Wegegeld erhöht, was in diesem Zusammenhang (Notdienst in der Kleintierpraxis) von eher geringerem Interesse sein dürfte.
In den letzten Wochen konnte ich auf den Social-Media-Präsenzen von Kolleginnen und Kollegen, die diese GOT-Änderung schon frühzeitig bekannt gemacht haben, die entsprechenden und naturgemäß sehr lebhaften Diskussionen verfolgen. Dabei kristallisierten sich einige Fragen und Einwände heraus, auf die ich hier kurz eingehen möchte.
Frage: „Meine Tierarztpraxis hat wochentags bis 19 Uhr und am Samstagvormittag von 10 bis 12 Uhr geöffnet. Muss ich da dann auch diese Gebühren berappen?“
Antwort: Nein, ruhig Blut! Die Regelung erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die offiziellen und so veröffentlichten regulären Sprechzeiten von Praxen und Kliniken. Dies gilt auch für unsere Praxis. Wir haben zwar Samstags geschlossen, aber an Wochentagen immer schon Sprechstunde bis 19 Uhr. Sie müssen also als regulärer Kunde in dieser letzten Stunde ab 18 Uhr keine Notdienst-Gebühren befürchten.
Einwand: „Das ist ja unverschämt! Was fällt Euch eigentlich ein, ihr Abzocker?“
Antwort: Uns (also den Tierärzten) ist da gar nichts eingefallen. Die GOT wird als Bundesrechtsverordnung natürlich nicht von uns, sondern vom Gesetzgeber erlassen. Wir stecken nur insofern dahinter, dass unsere Berufsverbände bei der Regierung vorstellig geworden sind, die akute bundesweite Notdienstkrise geschildert und dringend um Abhilfe gebeten haben. Viele Tierhalter wissen inzwischen aus schmerzlicher Erfahrung, dass dieser Zusammenbruch der Notfallversorgung beileibe kein Hirngespinst, sondern in vielen Regionen schon bittere Realität ist.
Lassen wir doch bezüglich der Zielsetzung der GOT-Änderung den offiziellen Text des dem Bundesrat vorgelegten Entwurfs sprechen:
„A. Problem und Ziel: Die Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) ist eine Verordnung der Bundesregierung und regelt die Entgelte für tierärztliche Leistungen. Sie ist zuletzt durch Verordnung vom 19. Juli 2017 angepasst worden, wobei die einfachen Gebührensätze um pauschal 12 Prozent und die Gebühren für die (freiwillige) Beratung von Nutztierhaltern um pauschal 30 Prozent angehoben worden sind. Diese Erhöhungen sollten die Einkommenssituation der Tierärzte kurzfristig verbessern. Die geplante umfassende Novellierung der GOT soll eine Neustrukturierung der tierärztlichen Leistungen unter Anpassung an den veterinärmedizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand beinhalten, wobei die Entgelte auf der Basis eines Forschungsvorhabens festgelegt werden sollen. Die umfassende Novellierung bedarf daher eines zeitlichen Vorlaufes. Inzwischen ist jedoch eine weitere Anpassung der GOT kurzfristig erforderlich geworden. Tierärztliche Fachverbände, unter anderem die Bundestierärztekammer, haben darauf hingewiesen, dass die Notdienstversorgung von Tieren erheblich gefährdet ist, weil Tierärztliche Kliniken, die standesrechtlich (nach Ländergesetzen und Kammerrecht) zur Vorhaltung eines Bereitschaftsdienstes (24 Stunden Anwesenheit mindestens eines Tierarztes) zur Notfallversorgung von Tieren verpflichtet sind, aus finanziellen Gründen bereits vielfach auf ihren Status als Tierärztliche Klinik verzichtet haben. Dadurch ist eine adäquate flächendeckende tierärztliche Versorgung von Tieren außerhalb der regulären Behandlungszeiten nicht mehr ohne weiteres gewährleistet. Dies ist aus Gründen der Sicherung der öffentlichen Gesundheit (rasche Diagnose und Bekämpfung von Tierseuchen und Zoonosen) sowie aus Gründen des Tierschutzes (Staatsziel) als problematisch anzusehen. Daher soll mit einer eigenen Gebührenregelung die finanzielle Basis für die Durchführung der Notdienstversorgung von Tieren verbessert werden.
B. Lösung: Erlass der vorliegenden Verordnung.
C. Alternativen: Keine.“
Also, der Gesetzgeber stimmt uns zu, hat dementsprechend nun beschlossen, mehr Geld in das System zu pumpen, und sieht dafür auch keine Alternative. Das ist mal auf jeden Fall sinnvoll, denn – wie in anderen Artikeln mehrfach erläutert – dieses System war seit Jahrzehnten zu knapp auf Kante genäht. Sie als Tierhalter müssen sich halt freuen, dass es für Sie so lange so gut gelaufen ist, und jetzt akzeptieren, dass sich was ändern muss, und zwar grundlegend.
Die meisten von Ihnen hatten und haben es mit Praxis-Inhaberinnen und -Inhabern meiner Generation zu tun, den sogenannten Baby-Boomern. Wir waren daran gewöhnt, dass es von uns schon immer zu viele gab und wir uns schon aus rein demografischen Gründen immer sehr anstrengen mussten, um uns von der Masse abzuheben. Demzufolge haben sich die meisten von uns ihr Leben lang 60 Stunden und mehr pro Woche einen Wolf gearbeitet, und das häufig zu Gebühren, die im internationalen Vergleich einfach ein besserer Witz waren.
Aber die Zeit der Boomer neigt sich jetzt dem Ende zu, und die Nachfolger-Generation sieht das erstens ganz anders und hat zweitens den demografischen Vorteil auf ihrer Seite. Die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt nachrücken, lehnen es rundweg ab, sich auf diese Weise selbst zu verheizen. Sie bestehen auf ein vernünftiges Arbeit-Freizeit-Verhältnis und gleichzeitig auf ein für Akademiker mit einer sehr harten, schwierigen und teuren Ausbildung angemessenes Einkommen. Aus den genannten demografischen Gründen und auch aufgrund des inzwischen extrem hohen Frauenanteils in unserem Beruf (auch TiermedizinerInnen wollen und müssen sich gelegentlich fortpflanzen!) werden wir auf absehbare Zeit einen dramatischen Fachkräftemangel zu verzeichnen haben. Schon allein aufgrund der Gesetze des Marktes müssen also tiermedizinische Leistungen deutlich teurer werden, und das nicht nur im Notdienst.
Einwand: „Es ist ja jetzt schon sehr teuer!“
Antwort: Nein, definitiv nicht! Wie schon erwähnt: Bisher war und ist Deutschland ein tiermedizinisches Billigland, ein – zumindest was die Tierarztkosten angeht – Paradies für Tierhalter. Ist so! In den USA oder in GB sind zum Beispiel Handshake-Gebühren von 100 bis 150 Dollar oder Pfund durchaus im üblichen Rahmen, und zwar zusätzlich zu drastisch (drei- bis viermal!) höheren Behandlungsgebühren als hierzulande.
Einwände: „Es werden viele Tiere sterben, weil sich kaum einer mehr den Notdienst leisten kann.“ oder „Schlimm, Ergebnis wird sein, dass noch mehr Hunde ausgesetzt oder unbehandelt bleiben“.
Antwort: Das könnte (könnte!) eine Auswirkung steigender tiermedizinischer Gebühren sein, wenn auch die Tatsachen, wie wir sie aus anderen Ländern mit vergleichsweise sehr teurer Tiermedizin kennen, ziemlich eindeutig dagegen sprechen. Immerhin halten zum Beispiel die Briten in Relation zur Einwohnerzahl sogar mehr Hunde als die Deutschen.
Aber nehmen wir mal um des Arguments willen an, dass es so wäre. Dann stellt sich aber sofort die Frage, wie man auf den absurden Gedanken kommen kann, dass wir Tierärzte deshalb „billig“ zu sein hätten, damit möglichst viele Menschen – unabhängig von ihrem Einkommen – es sich leisten können, Haustiere zu halten und auch in Notfällen entsprechend dem Tierschutzgesetz behandeln zu lassen. Spinnt man diesen Gedanken weiter, müssten wir logischerweise gleich ganz umsonst arbeiten, damit sich möglichst viele Leute ein Tier leisten können.
Argumentiert jemand im Rahmen dieser Diskussionen völlig logisch mit „If you can’t afford the vet, you can’t afford the pet“, wird ihm reflexartig Kaltherzigkeit und Zynismus vorgeworfen, weil Tierhaltung schließlich gerade für ärmere Menschen so wichtig wäre. Gut, akzeptieren wir mal auch diesen Gedankengang. Dann kann das aber allenfalls auf der Basis eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses ermöglicht bzw. finanziert werden und sicher nicht ausschließlich auf dem Rücken eines Berufsstandes. In keiner Berufsbeschreibung und keiner Studien- bzw. Approbationsordnung habe ich einen Passus gefunden, der verlangt, dass ich als Tierarzt die Hobbytierhaltung von Menschen querzufinanzieren hätte, denen für dieses Hobby eigentlich die Mittel fehlen. Ich kann es nicht ändern: Die sowieso nicht wegzudiskutierende Verantwortung jedes einzelnen Tierhalters, sich vor der Anschaffung eines Tieres Gedanken über den finanziellen Worst-Case machen zu müssen, ist halt jetzt durch diese Änderung noch ein wenig bedeutsamer geworden.
Wir Tierärzte sind speziell im Notdienstbereich in den letzten Jahren zunehmend in eine Zwickmühle aus demografischer Entwicklung, Fachkräftemangel, gesetzlichen Regelungen (Arbeitszeitgesetz!), zu niedrigen Behandlungsgebühren und teilweise völlig unrealistischen Erwartungen der Tierhalter geraten. Dadurch ist die Sicherstellung einer Notdienstversorgung zu einem echten Minusgeschäft geworden, was halt – da beißt die Maus einfach keinen Faden ab – nicht auf Dauer funktionieren kann. Deshalb gibt es leider nur die Wahl zwischen zwei Alternativen: Höhere Gebühren für Notdienstleistungen oder gar kein Notdienst mehr! Kein Mensch erwartet, dass Ihnen das als Tierbesitzer gefällt. Sie müssen es nur verstehen!
Und Sie müssen eventuell ein paar Konsequenzen ziehen, also bestimmte und leider weit verbreitete Verhaltensweisen ändern, die uns im Notdienst regelmäßig schwere Kopfschmerzen bereiten. Ein Beispiel aus meiner letzten Notdienstnacht (werktags, nicht am Wochenende) vor ein paar Tagen: Ein Katzenbesitzer ruft an, so ca. 23 Uhr. Der schon etwas betagte Kater läuft seit drei, vier Tagen (!) immer wieder schreiend durchs Haus, findet keine Ruhe und nimmt kein Futter mehr auf. Da stellt sich einem als Tierarzt natürlich schon die Frage, was das eigentlich soll. Man schaut sich einen offenbar abnormen Zustand des Katers tagelang an, um dann am späten Abend eines Wochentages, an dem alle Praxen geöffnet hatten, den Notdienst um Hilfe für das Tier anzugehen. Wir hoffen sehr, dass die Neuregelung der Notdienstgebühren in solchen oder ähnlichen Fällen zu einem deutlich umsichtigeren Verhalten der Tierbesitzer führen wird.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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