Von Ralph Rückert, Tierarzt
Ich behaupte mal, dass die meisten unserer Haustiere es bezüglich ihres Todes besser haben als wir Menschen. So sehr viele Besitzer darauf hoffen: Der unverhoffte, qualfreie Tod im Schlaf ist halt ein eher seltenes Ereignis. In den allermeisten Fällen ist das Ende des Lebens mit Krankheiten oder Verletzungen verbunden, die mit schwerem Leiden einhergehen und die mit dem Leben letztendlich nicht mehr vereinbar sind.
Wir Menschen müssen diese letzte Phase unseres Lebens aufgrund der rigiden, empathie- und erbarmungslosen Haltung der Humanmedizin irgendwie durchstehen, in der Regel alles andere als leidensfrei, trotz aller gegenteiligen und in meinen Augen oft unerträglich verlogenen Beteuerungen der Palliativmediziner. Die Corona-Krise hat uns ja gerade aktuell vor Augen geführt, mit welcher brutalen Gedankenlosigkeit Pflegepatienten im absoluten Endstadium ihres Lebens massenhaft zu Hochintensivpatienten gestempelt und ganz allein, ohne ihre Angehörigen und auch noch des letzten Restes ihrer Würde beraubt zu Tode therapiert werden.
Wie viele dieser armen Menschen, die sich – oft über Wochen, Monate oder gar Jahre – ihrem Ende entgegenleiden müssen, würden sich wohl wünschen, dass sie so ruhig und mit so viel erhaltener Würde einfach hinübergleiten könnten, wie es unseren Tieren meist gewährt wird? Anlässlich von Euthanasien höre ich diesen Seufzer jedenfalls häufig, gerade von älteren Leuten: Mein Gott, wenn man nur selber auch so schön sterben dürfte!
Ja, diese kurze Einleitung ist mein bescheidener und sehr persönlicher Beitrag zur andauernden Sterbehilfediskussion. Ich halte es seit Jahrzehnten für eine Unverschämtheit, eine geradezu ungeheure Anmaßung vieler Politiker, der Kirchen und leider nach wie vor wohl einer Mehrzahl der Humanmediziner, sich aufgrund fadenscheinigster Argumente zu Herren über die letzte Lebensphase anderer Menschen aufzuschwingen, und zwar gegen den erklärten und mehrfach ermittelten Willen des größten Teiles der Bevölkerung.
Aber das ist nicht das eigentliche Thema dieses Artikels. Ich will eher die besten unter uns Hobby-Tierhaltern ansprechen, die, die ihre vierbeinigen Familienmitglieder tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes lieben, die sich nach Kräften bemühen, ihnen ein schönes und artgerechtes Leben zu ermöglichen, diesbezüglich auch keine Mühen und Kosten scheuen, es aber dann auf der Zielgerade so richtig übel versemmeln, weil sie es nicht schaffen, rechtzeitig loszulassen, weil sie klammern und dem Tier damit den ihm zustehenden würdevollen und rechtzeitigen Abgang verweigern.
Die Besitzer der (inzwischen natürlich toten) Katze auf den Bildern oben gehören in meinen Augen zu diesen idealen Haltern, die während der Lebenszeit ihres Tieres wirklich alles dafür getan haben, damit es ihm gut geht. Am Ende aber haben sie leider geklammert und damit der Katze sicher keinen Gefallen getan. So weit sollte bzw. darf es eigentlich nicht kommen! Nachdem die Katze einen kleinen Hubbel auf der Nase entwickelt hatte, war uns ab der ersten Gewebeprobe klar, dass wir es mit einem hochaggressiven Tumor zu tun hatten und dass wir nur noch hinhaltend, aber nicht mehr heilend helfen konnten. Zweimal ist es uns gelungen, den Tumor operativ deutlich zu reduzieren und damit ordentlich Zeit rauszuschlagen, aber dann war – wie erwartet und klar kommuniziert – das Ende der Fahnenstange erreicht. Wie leider in solchen Fällen häufig, wird aber der zuvor intensiv involvierte Tierarzt genau in dieser Klammerphase nicht mehr aufgesucht, weil man eigentlich genau weiß, was er sagen würde. Erst am Ende bekommt man dann das Tier wieder zu sehen, und dann muss man schon sehr hart schlucken.
Auf der rein menschlichen Ebene kann ich dieses Klammerverhalten ja durchaus verstehen. Wir Menschen sind (wie schon in der Bibel dargestellt und im Gegensatz zu den meisten Tieren) sozusagen mit dem Fluch gestraft, uns unserer eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein, und wir tun uns dauerhaft schwer mit dieser ultimativen Beleidigung, mit diesem Ende des Nabels des Universums, mit unserem unweigerlichen Tod. Und wir übertragen diesen unseren Gram über den normalen Gang der Dinge natürlich auch auf unsere Tiere.
Bis zu einer gewissen Grenze ist das völlig legitim. In unserem Bemühen, unsere Tiere so lange wie möglich um uns zu haben, sichern wir ihnen ja auch idealerweise ein möglichst gesundes Leben frei von vermeidbaren Leidenszuständen. Jenseits dieser Grenze aber versündigen wir uns letztendlich an einem Familienmitglied, das das natürlich nicht verstehen und sich nicht gegen unseren anthropozentrischen Egoismus – denn von nichts anderem reden wir hier – wehren kann. Gute Tierhalter MÜSSEN auch rechtzeitig loslassen können! Und „rechtzeitig“ darf auch durchaus manchmal „lieber zwei Wochen zu früh als nur eine Stunde zu spät“ bedeuten.
Dieser ganze Gedankengang gilt übrigens auch bezüglich der von uns Tierärzten oft erlebten Verweigerung von bzw. der panischen Angst vor zweifellos nötigen medizinischen Eingriffen in Narkose an alten und sehr alten Tieren. Natürlich ist das allgemeine Narkoserisiko bei alten Patienten deutlich höher (oft um ein Vielfaches) als bei jüngeren. Aber seien wir doch mal bitte ganz realistisch: Wir reden hier von für die Lebensqualität des Tieres einfach notwendigen Eingriffen, zum Beispiel wegen schmerzender Zähne. Sollte dabei wirklich mal (und selten genug!) was schief gehen und das Tier während der Narkose versterben, was ist dann für das Tier der Unterschied zu einer Euthanasie? Gar keiner!
Natürlich ist das schon allein durch den Schreck über den Eintritt des tiefinnerlichst Gefürchteten mehr als grausig für uns Menschen, aber für das Tier ist es letztendlich ein schöner Tod ohne jede Quälerei, ohne Angst, ohne das sonst unvermeidliche Vorspiel mit emotional überlasteten Besitzern und zumindest angespanntem Praxispersonal. Die Angst vor einem statistisch allemal nicht wirklich bedeutsamen Narkoserisiko ist also auch bei alten und/oder schwer vorerkrankten Tieren absolut keine gute Begründung dafür, dem Tier anhaltendes Leiden zuzumuten, das durch einen Eingriff gemildert oder beseitigt werden kann. Auch diese Erkenntnis gehört zum Loslassenkönnen!
Fazit: Machen Sie bitte nicht am Ende durch krampfhaftes und egoistisches Klammern den einen entscheidenden und schrecklichen Fehler, der Ihnen zwangsläufig immer in den Sinn kommen wird, wenn Sie sich an Ihr totes Tier erinnern! Lassen Sie sich von uns helfen, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, und dann lassen Sie bitte auch konsequent los! Das ist der letzte Dienst, den Sie Ihrem geliebten Tier, das sich diesbezüglich voll und ganz auf Sie verlassen muss, erweisen können.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.