Tiermedizinische Betriebswirtschaft III: Gebührenerhöhung der dritten Art

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Dr. Carola Musterfrau ist eine Kollegin von mir, sowohl als Tierärztin als auch als Inhaberin einer langjährig etablierten, mittelgroßen und sehr schönen Praxis. Carola ist Anfang fünfzig, war immer bienenfleißig, vielleicht zeitweise zu fleißig für ihr eigenes Wohl, weil sie – wie so viele Kolleginnen und Kollegen – unter einem ausgeprägten Helfer-Syndrom leidet. Sie genießt diese Phase in ihrem Leben als Tierärztin in vollen Zügen. Das „Fuck-you-Money“ ist auf dem Konto, und sie ist auf dem Höhepunkt ihrer Erfahrung und ihres tiermedizinischen Könnens.

Carola hat aber ein echtes Problem! Sie ist buchstäblich zu erfolgreich! Ihre Praxis – obwohl beileibe noch nie zur „Discount- oder Holzklasse“ gehörend – wird von zu vielen Tierhalter:innen konsultiert, weil sie eine hervorragende Reputation für Sorgfalt, Freundlichkeit, diagnostische Fähigkeiten und vieles mehr genießt. Die Tage, an denen das Fallaufkommen nur mit beträchtlichen Überstunden bewältigt werden kann, werden immer häufiger. Es gibt zunehmendes Gegrummel aus dem Team, und die ständige Hetzerei fängt an, die vormals sehr hohe Arbeitsqualität negativ zu beeinflussen, weil es zu Fehlern kommt, die vormals undenkbar gewesen wären.

So erfreulich es für Selbständige im Grundsatz ist, wenn man zu viele Kund:innen hat: Der Kollegin ist klar, dass sie auf diese Situation irgendwie reagieren muss. Die wertvollste Ressource der Praxis, das Team, kann auf gar keinen Fall dauerhaft überfordert werden. Die sich nun einschleichenden Fehler stellen eine Bedrohung des hervorragenden Rufes der Praxis dar.

Was also tun? Welche Reaktionsmöglichkeiten hat die Kollegin?

– Sie könnte die Fallkapazität ihrer Praxis vergrößern, indem sie zusätzliche Leute einstellt. Sie ist sich aber der Tatsache bewusst, dass Angestellte, die den hohen Ansprüchen der Praxis genügen, in der momentanen Situation nur sehr schwer zu finden sein werden. Außerdem unterliegt sie räumlichen Beschränkungen, die diese Lösung als nur sehr begrenzt wirksam erscheinen lassen. Und – ein ganz wesentlicher Punkt – sie möchte sich eigentlich nicht vergrößern, weil damit bestimmte unternehmerische Sorgen bezüglich Management, Personalführung, etc. keineswegs kleiner werden, sondern immer mehr Zeit in Anspruch nehmen.

– Eine Erhöhung der Fallkapazität wäre natürlich auch zu erreichen, indem man einfach mehr arbeitet, also die Arbeitszeiten ausweitet. Genau das will die Kollegin unbedingt vermeiden, weil sie vor vielen Jahren mal in diese böse Falle getreten ist und dafür einen hohen persönlichen Preis in Form eines mittelschweren Burnouts und einer Ehescheidung bezahlen musste.

– Sie könnte einen Aufnahmestopp für Neukund:innen anordnen. Das würde tatsächlich mittelfristig den Druck aus dem Kessel nehmen. Andererseits wird gerade diese Maßnahme in unseren Kreisen, also berufsintern, extrem kontrovers diskutiert. Ich für meinen Teil halte sie für sehr schwierig und konfliktbeladen auf der ganz persönlichen Ebene, also gerade auch für die Fachangestellten, die den hoffnungsvoll anrufenden Neukund:innen so einen Aufnahmestopp am Telefon beibringen sollen. Letztendlich entsteht damit ja eine Situation wie am Samstagabend vor dem Eingang eines angesagten Clubs, wenn einen der Türsteher nicht reinlassen will. Sicher eine unnötig unangenehme Erfahrung. Auch unternehmerisch gedacht macht so ein Aufnahmestopp nicht wirklich Sinn. Eine Praxis lebt zwar in erster Linie von ihren treuen Stamm- bzw. Premiumkund:innen. Der Bestand an Stammkund:innen ist aber natürlich nicht auf alle Zeiten in Stein gemeißelt. Tiere und Menschen sterben, Leute ziehen weg oder geben die Hobbytierhaltung auf, usw. und so fort. Denkt man langfristig – und nichts anderes macht Sinn – muss man natürlich auch einen permanenten Nachwuchs an treuen Kund:innen sicherstellen. Jede Neukundin, jeder Neukunde hat das Potential, der Praxis viele Jahre oder gar Jahrzehnte treu zu bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein Annahmestopp eine ganz blöde Idee!

– Ein forciertes Aussortieren toxischer bzw. mehr Stress als Freude verursachender Kund:innen stellt keine Option dar, weil die Kollegin das sowieso seit Jahr und Tag zum Schutz der psychischen Gesundheit des ganzen Teams konsequent betreibt.

Tja, bis hierher haben wir keine wirklich sinnvolle Lösung des Problems gefunden. Es ist aber unstrittig, dass was passieren muss! Was sagen Sie denn? Was würden Sie der Kollegin empfehlen, auch und gerade, wenn Sie sich vorstellen, in dieser offensichtlich sehr guten Praxis Kund:in zu sein?

Gut, schleichen wir nicht länger um den heißen Brei herum! Die Lösung ist ja wahrscheinlich inzwischen auch für Sie als Leser:innen mehr als offensichtlich: Die Kollegin muss ihre Preise erhöhen! Nicht nur in dem Sinne, wie man das idealerweise jedes Jahr macht, also um zwei, drei Prozent, sondern durchaus spürbar. Damit geht sie den gravierenden Nachteilen der anderen möglichen Lösungen aus dem Weg und verhält sich darüber hinaus unternehmerisch höchst sinnvoll und in Übereinstimmung mit den Marktgesetzen. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis eines Gutes. In diesem Fall ist das Gut die Arbeitszeit der Kollegin und ihres Teams. Das Angebot (die tägliche Arbeitszeit) bleibt gleich, die Nachfrage ist aber gestiegen. Folglich muss auch der Preis des Gutes steigen.

Diese Gebührenerhöhung wird zwangsläufig zwei Effekte haben: Erstens wird die Praxis der Kollegin in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend (noch mehr als zuvor schon) als „teuer“ oder – wie der Schwabe sagen würde – als „Apotheke“ gesehen werden, was natürlich so manche potentiellen Kund:innen von einer Konsultation abhalten wird. Zweitens wird sich auch ein gewisser Prozentsatz der bisherigen Kund:innen dazu entschließen, andere Praxen mit einem niedrigeren Gebührenniveau aufzusuchen. Somit wird es binnen Jahresfrist zuverlässig zu dem gewünschten Effekt einer Entspannung der bedrohlichen Überlastungssituation kommen.

Es ist den Praxisinhaber:innen, die sich zu so einem Schritt veranlasst sehen, durchaus bewusst, dass sich das aus Kundensicht irgendwie gemein anhört. Aber was soll man angesichts der geschilderten Ausgangssituation anderes machen? Es ist ganz sicher niemandem geholfen, auch und gerade nicht den vielen nach bester Qualität suchenden Kund:innen und ihren Tieren, wenn die chronische Überlastung der Praxis erstens immer mehr Fehler im täglichen Ablauf verursacht und zweitens die harmonische Zusammenarbeit des Teams oder gar die Gesundheit von Inhaber:in und Angestellten gefährdet.

Die geschilderte Vorgehensweise hat den zusätzlichen Vorteil, nachhaltig zu sein. Das Motto „Immer größer, immer mehr“ fällt halt langsam aus der Zeit. So einige erfolgreiche Praxisbesitzer:innen wollen sich nicht immer noch weiter vergrößern, weil sie die zwangsläufigen Folgen (zunehmender Verwaltungsaufwand, Verlust an Arbeits- und Lebensqualität, etc.) nicht akzeptieren und lieber weiter in einem noch gut überschaubaren Rahmen für eine Kundschaft arbeiten wollen, die nicht nach dem billigsten Angebot, sondern nach maximaler Qualität sucht. Um auch hier nochmal auf den oft gehörten Spruch „Teuer ist nicht automatisch gut“ einzugehen, behaupte ich: Doch! Eine Praxis, deren Leistungen so stark nachgefragt werden, dass sie sich ein gehobenes Gebührenniveau erlauben kann, muss ja logischerweise bestimmte und von vielen Tierbesitzer:innen durchaus wahrgenommene Vorzüge haben, die sie von anderen Praxen, die nur ihre niedrigen Preise für sich ins Feld führen können, abheben. Wäre dem nicht so, wäre sie ja schon lange vom Markt verschwunden.

Carola ist übrigens eine reale Person und Freundin. Wir haben uns ca. zwei Jahre nach ihrer Gebührenerhöhung wieder über das Thema unterhalten. Ihr Fazit: Es hat bestens funktioniert. Die Konsultationsfrequenz – und damit die Überlastung der Praxis – hat etwas (um ca. 10 Prozent) abgenommen, bei gleichzeitig weiter steigendem Umsatz und Gewinn. Das ist natürlich keine Einzelfallerfahrung, sondern bestätigt sich wieder und wieder.

Was kann ich Ihnen, den Kund:innen raten? Fühlen Sie sich bitte nicht persönlich beleidigt, wenn sie feststellen, dass eine bestimmte Praxis für Sie zu teuer ist. Das kennen wir doch aus allen Bereichen unseres Lebens. Konkurrenz und unterschiedliche Preise für alle denkbaren Dinge und Leistungen beleben schließlich das Geschäft. Sie haben keinen wie auch immer gearteten Anspruch darauf, dass alle Tierarztpraxen gleich teuer oder billig abrechnen. Der Gedanke an sich ist absurd, weil dann natürlich die guten Praxen völlig überfüllt und die Murksläden menschenleer wären. Die Praxis zu finden, die nach Ihren Prioritäten am besten zu Ihnen passt, ist Ihre Aufgabe! Die Preise einer Praxis können sich logischerweise nicht danach ausrichten, was Sie – natürlich in Relation zu Ihren persönlichen finanziellen Verhältnissen – als „fair“ oder „angemessen“ empfinden. Sie haben auch kein Recht darauf, dass sich jemand halb oder ganz dafür zu Tode schuftet, dass Sie persönlich mit den Preisen zufrieden sind! Das haben wir „Boomer“ jahrzehntelang getan, aber die jetzt langsam das Steuer übernehmende Nachfolger-Generation schaut sich fassungslos an, was wir damit gesundheitlich und geschäftlich angerichtet haben, und denkt nicht im Traum daran, nach diesem Muster weiter zu machen. Lassen Sie sich doch bitte – wie wir das ja auch in vielen anderen Bereichen unseres Lebens als ganz normal empfinden – vor Inanspruchnahme von Leistungen einen Kostenvoranschlag geben. Das ist in der Medizin aufgrund der offensichtlichen Unwägbarkeiten nicht immer wirklich gut machbar, aber einen gewissen Rahmen kann man doch meist vermitteln und damit eigentlich unnötige Frustrationen vermeiden.

Ich habe nun in diesem letzten Teil der Artikelserie nach der wirklich fairen Entlohnung der Angestellten und der Notwendigkeit der Einhaltung eines für jede Praxis anderen Stundensatzes einen dritten Grund dafür dargestellt, warum manche Praxen auf einem höheren Niveau abrechnen (müssen) als andere. Ich gebe Ihnen, meinen Kund:innen und Leser:innen, damit – getreu dem Motto dieses Blogs – wieder mal einen ziemlich tiefen Einblick hinter die Kulissen und in sonst eher berufsintern diskutierte Themen, weil ich nach wie vor davon ausgehe, dass ausreichende Informationen eine Grundbedingung für Verstehen und Verständnis sind.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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